Krisenbogen Naher und Mittlerer Osten – RK BAYERN am 12.04.2023
Ein lohnender Nachmittag voll tiefer Einblicke in den Krisenbogen Naher und Mittlerer Osten
Es war ein großartiger Vortrag von Prof. Dr. Masala, der als fundierter Kenner der Nahost Region packend die aktuellen geopolitischen Zusammenhänge der Region mit Rückschlüssen zur Gesamtweltlage erklärte.
Vor zahlreichem Publikum erläuterte er, dass es nach einer Phase der Stagnation aktuell zwei Handlungsstränge gebe, die viel Dynamik in der Region entfaltet hätten.
Mit dem „Abraham – Abkommen“ kam es auf Initiative von Präsident Trump zum Vertrag des Friedens, der diplomatischen Beziehungen und der vollständigen Normalisierung zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Staat Israel. Zeitgleich erfolgte ein Friedensvertrag zwischen Israel und Bahrain. Mit diesem Abkommen war die Normalisierung der beidseitigen Beziehungen nicht mehr an die Lösung der Palästinenser-Frage gekoppelt. Saudi-Arabien habe seine Bereitschaft zur Normalisierung signalisiert, fordere aber von den USA Lockerungen der verhängten Sanktion bei militärischer Ausrüstung. Wenn die USA zu diesen Zugeständnissen bereit seien, dann wäre das ein großer Gewinn für die Stabilität in der Region.
Ganz aktuell entstehe mit der von China vermittelten Versöhnung zwischen den beiden Erzrivalen Iran und Saudi-Arabien zusätzliche Dynamik. Die geplante Wiedereröffnung von Botschaften wäre ein erster Schritt auf dem Weg der Normalisierung. Interessant sei, dass China in der Rolle als politischer Vermittler bisher nicht in Erscheinung getreten sei, abgesehen vom Süd-Sudan, wo es allerdings primär um die Sicherung chinesischer Investitionen ging. Eine direkte Folge seien auch die Friedensgespräche zwischen Saudi-Arabien und den vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen zur Lösung des Bürgerkriegs im Jemen.
Eine der Konsequenzen sei eine deutliche Steigerung des Einflusses Chinas und eine Minimierung der US-Rolle als Hegemonialmacht in der Region.
Was über der Region als Damoklesschwert schwebe sei das iranische Atomprogramm. Iran als Nuklearmacht sei für Israel unakzeptabel und Israel wäre bereit, dieses mit militärischen Mitteln zu verhindern. Sollte der Iran Nuklearmacht werden, dann würde Saudi-Arabien sofort nachziehen, um die Machtbalance zu halten. Eine solche Ausweitung der Nuklearstaaten, sei auch nicht im chinesischen Interesse. Ebenso habe sich China von der russischen Drohung mit der Atombombe im Ukrainekrieg distanziert. Diese chinesische Position habe vermutlich dazu geführt, dass es iranische Signale gebe sich wieder an den Gesprächen zum Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) zu beteiligen.
Professor Masala nannte einen weiteren Grund wieso Israel die iranische Atombombe nicht akzeptieren könne. Die vom Iran unterstützten Gruppen Hamas und Hisbollah führen quasi einen Stellvertreterkrieg gegen Israel. Wobei der Iran sehr darauf achte, dass gewisse Grenzen nicht überschritten würden, die zu einem massiven israelischen Vergeltungsschlag gegen den Iran führen würden. Wäre Iran Nuklearmacht, kann würde sich der Handlungsspielraum für beide Gruppierungen deutlich erhöhen, weil sich das Eskalationsrisiko zu Ungunsten Israels verändern würde.
Die gegenwärtige Regierung in Israel sei stärker als jemals zuvor am rechten Rand des Spektrums angesiedelt. Dabei sei Präsident Netanjahu inzwischen der Liberalste, sei aber gezwungen Zugeständnisse zu machen, um die Koalition zusammenzuhalten. Die gewalttätigen Reaktionen der Palästinenser und die jüngsten Raketenangriffe der Hamas und Hisbollah auf Israel könnten die Vorboten für eine dritte Intifada sein. Ein Wiederaufflammen der Intifada würde einen schweren Rückschlag für die eingeleiteten Normalisierungen bedeuten. Klar sei der Tod der 2 Staaten-Lösung. Ebenso klar ist, dass es gegenwärtig keinerlei sinnvolle Alternativen zur Lösung des Palästinenser-Problems gebe.
In seinen Antworten auf die zahlreichen Fragen, vertiefte Professor Masala die dargestellten Entwicklungstrends durch zusätzliche Hintergrundinformationen.
Zusätzlich machte er Ausführungen zur Rolle der Türkei, die in der Region ebenfalls eigene Interessen verfolge, wie z.B. das Verhindern autonomer Kurdengebiete. Interessant werde der Ausgang der Wahlen im Mai. Erstmalige haben sich die Oppositionsparteien auf einen einzigen Kandidaten verständigt. So werde es keine Zersplitterung geben, wie das bei vorausgegangenen Wahlen der Fall war. Die aktuellen Umfragen sprechen für einen Sieg des Oppositionskandidaten. Dieser habe schon deutlich gemacht, dass die Türkei wieder ein verlässlicher Partner der NATO werden wolle. Dieses sei insbesondere wegen des türkischen Einflusses auf die ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken ein wichtiger stabilisierender Faktor an der Südostflanke der NATO
Hinsichtlich der US-Wahlen in 2024 prognostizierte Auswirkungen auf die massive Unterstützung der Ukraine durch die USA. Präsident Biden und die Demokraten werden aus wahlkampftaktischen Gründen die Unterstützung zurückfahren müssen. Die Republikaner argumentieren mit dem Argument, dass NATO Europa und EU zusammen über ein so großes militärisches Arsenal verfügen, das ausreichen sollte, um die Ukraine im Kampf gegen Russland zu unterstützen. Der schwelende US – China Konflikt erfordere die Fokussierung auf den pazifischen Raum. Europa werde deshalb zwangsläufig mehr tun müssen, um die eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken und eine glaubwürdige Abschreckung demonstrieren zu können.
Autor: Gerhard Schulz