Digitalisierung der Bundeswehr – RK WEST am 05.06.2023

Generalmajor Dr. Färber

 

Deutschland marschiert, was Digitalisierung anbetrifft, nicht gerade an der Spitze des Fortschritts. Andere europäische Länder sind uns deutlich voraus. Auch in der Bundeswehr ist in diesem Bereich nicht alles zum Besten bestellt, obwohl die damit verbundenen Fähigkeiten bereits vor zwei Jahrzehnten – damals noch unter dem Begriff „Vernetzte Operationsführung“ – als absolut entscheidend angesehen wurden. In den Vorträgen der letzten Jahre im RK WEST ist das Stichwort „Digitalisierung“ zwar mehrfach gefallen, aber doch eher am Rande. Daher schien es geboten, dieses Thema einmal in den Mittelpunkt einer Veranstaltung zu stellen. Dafür hatte der RK WEST mit Generalmajor Dr. Ing. Michael Färber den herausragenden Experten für die Digitalisierung der Bundeswehr gewinnen konnten, der als Angehöriger der Panzertruppe die Belange der Truppe kennt, sich aber seit vielen Jahren auch intensiv mit Fragen der Informationstechnik befasst hat. Er ist derzeit der Abteilungsleiter „Planung CIR und Digitalisierung Bw“ im Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR).

Das Kommando CIR und seine Weiterentwicklung
Einführend stellte der Referent den Ansatz dar, alle Elemente, die Cyber, Informationstechnik und auch das Informationsumfeld betreffen, in einem eigenen Organisationsbereich zu bündeln. Das ist mit der – bisher präzedenzlosen – Aufstellung des Kommandos Cyber- und Informationsraum ab 01.04.2017 geschehen. Der nächste Schritt folgte dann in der Ausrichtung der Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung auf die vier Dimensionen Land, Luft/Weltraum, See und CIR im Verbund von „Aufklärung – Führung – Wirkung“. Dabei stellt der Bereich CIR quasi das zentrale Nervensystem für alle übrigen.

Aus der Startaufstellung des CIR, in der bestehende Organisationselemente zunächst lediglich unter eine neue gemeinsame Führung gestellt wurden, wird nun unter dem Stichwort CIR 2.0 der Bereich in eine stärker aufgabenbezogene Gliederung überführt, die anhand eines Gliederungsbildes erläutert wurde. Im Zusammenhang mit dem Vortragsthema ist dabei naturgemäß das „Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr“ von herausragender Bedeutung, das General Dr. Färber im Einzelnen mit seinen vielfältigen Aufgaben vorstellte. Er betonte die deutlich gestiegene Fähigkeit, Softwareprodukte, die am Markt eingekauft werden, auf ihre Eignung für die Streitkräfte zu beurteilen und zu orchestrieren, aber auch mit eigenen Entwicklern Software selbst zu erstellen und in der Bundeswehr zu betreiben.

Beschaffung im Teilportfolio Cyber und IT
Im Bereich der Beschaffungsprojekte weist das CIR die Besonderheit auf, dass seit einigen Jahren von den insgesamt rund 3.300 Projekten in der Bundeswehr das Teilportfolio Cyber und IT mit knapp 600 Projekten aus der Verantwortung des Planungsamtes ausgekoppelt und dem CIR übertragen wurde, das damit die Rolle des Bedarfsträgers übernimmt. Der Zuordnungsprozess war nicht ganz einfach, weil IT inzwischen natürlich nahezu in jedem Projekt eine Rolle spielt. Ausgewählt wurden schließlich diejenigen, bei denen IT das Hauptelement der Wertschöpfung darstellt. Damit wurde ein entscheidender Schritt zur Beschleunigung von Projekten erreicht, weil die zuvor erforderlichen Abstimmungsprozesse sehr viel Aufwand und Zeit erforderten. Nutzerinteressen werden natürlich auch weiterhin, soweit das möglich ist, berücksichtigt, aber unterschiedliche Vorstellungen müssen nicht mehr zu endlosen Diskussionen und im schlimmsten Fall zur Lähmung bei einem Projekt führen. Dieses Verfahren hat sich inzwischen bewährt und ermöglicht, priorisierte Forderungskataloge für umfangreiche Projekte in wenigen Wochen zu erstellen.

Digitalisierungsplattform
Verknüpft werden diese Elemente in der im Aufbau befindlichen sog. Digitalisierungsplattform des Geschäftsbereichs BMVg. Grob beschrieben besteht deren unterste Schicht aus den drei Elementen Infrastruktur (u.a. Rechenzentren und zentrale Speicherarchitektur), Endgeräte der Nutzer und den Mitteln zur Verbindung zwischen beiden Elementen. In einer zweiten Ebene befinden sich die Bereiche „Collaboration and Digital Administration, Information Management“, „Geoinformation“ „Analytics and Simulation (mit starken KI-Anteilen) sowie Enterprise Ressource Planning, die das Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familien (SASPF) für administrative und logistische Prozesse beinhaltet. Über alle Ebenen hinweg ist die IT-Sicherheit relevant, und ein IT-Management muss den Stand der IT-Ausstattung und Softwareversionen überwachen sowie Hilfen für Nutzer bereitstellen. Die Elemente der Digitalisierungsplattform in ihrem funktionalen Zusammenspiel erläuterte General Dr. Färber mit eingängigen Beispielen aus der militärischen Praxis.
Die Digitalisierungsplattform mit ihrer Top-Down-Steuerung ermöglicht eine zügige und flexible Bedarfsdeckung, bietet ein standardisiertes Baukastensystem statt eines Flickenteppichs aus Einzellösungen und schafft eine zentrale Plattform, die Projektabhängigkeiten berücksichtigt. Eingebunden werden soll dies darüber hinaus zur besseren Steuerung in einen Wirkverbund „Governance und Management“, der von der Spitze des BMVg ausgehend das Kommando CIR, das BAAINBw, das BWI als IT-Systemhaus und alle Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche als Kunden umfasst.

Sondervermögen Bundeswehr
Zur Behebung der bekannten Defizite im Bereich der Digitalisierung der Bundeswehr stehen etwa 20 Mrd. € aus dem 100 Mrd. € Sondervermögen in den nächsten 5 bis 10 Jahren zur Verfügung. Daneben muss allerdings der Vg-HH auf 2% des BIP steigen, weil sonst der Betrieb des mit dem Sondervermögen beschafften Geräts nicht gewährleistet ist. Die Beschaffungen aus dem Sondervermögen sollen in erster Linie der Steigerung der Einsatzfähigkeit dienen – bei der Digitalisierung mit Schwerpunkt im Bereich landgestützter Operationen. Dies reicht von der Satellitenkommunikation (SATCOM Stufe 2 und 3) über ein Tactical Wide Area Network für Landoperationen (TaWAN LBO) bis hin zu digitalen Funkgeräten.

Diese Beschaffungen kurzfristig einzuleiten, ist mit einer erheblichen Kraftanstrengung verbunden, weil zwar für alle Projekte bereits alte Planungen existieren, die aber nun in kurzer Zeit dem heutigen Stand der Technik angepasst werden müssen. Aus den priorisierten Forderungskatalogen sind nunmehr durch das BAAINBw – unter Beteiligung des CIR – Leistungsbeschreibungen zu erstellen, die dann die Grundlage für die Verträge mit der Industrie bilden. Am Beispiel des TaWLAN LBO zeigte der Referent auf, wie sich durch die Nutzung des Sondervermögens die geplanten Zulaufzeiträume signifikant nach vorn verschieben.

In der Planung sind auch mobile Rechenzentren für Cloud Computing, da davon auszugehen ist, dass leicht aufzuklärende stationäre zivile Rechenzentren im Einsatz nur eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit haben.

Zusammenfassende Bewertung
Insgesamt habe sich der neue hier beschriebene Ansatz zur Beschleunigung und qualitativen Verbesserung der Beschaffung im IT-Bereich bewährt, stellte General Dr. Färber abschließend fest. Es biete sich durchaus auch in anderen Bereichen an, weniger plattform- als vielmehr systemorientiert zu denken und zu planen.

Aussprache
Die anschließende ausführliche Aussprache deckte eine breite Thematik ab. Sie beinhaltete Fragen nach der Interoperabilität in diesem Bereich mit NATO und EU, konkret auch der Zusammenarbeit mit der entsprechenden NATO-Agentur, den Möglichkeiten den Informationsbedarf der Bundesregierung in Krise und Krieg zu decken, Erkenntnissen aus dem Ukrainekrieg, der Einbindung der Grundlagen der Digitalisierung in die Generalstabsausbildung, den Einsparmöglichkeiten an Personal durch Digitalisierung sowie dem aktuellen Stand der deutschen Ausrüstung und der Fähigkeiten im multi-nationalen Umfeld, z.B. bei der deutsch-geführten eFP Battlegroup in Litauen.

Abschluss
Der hochinformative Vortrag und die ergänzenden Aussagen des Referenten in der Aussprache vermittelten ein ausgezeichnetes Bild vom derzeitigen Stand der Digitalisierung in der Bundeswehr und von den Planungen für die nahe Zukunft. Auch denjenigen unter den Teilnehmern, die nicht mit jedem der Fachbegriffe vertraut waren, hat sich der Eindruck vermittelt, dass die jetzt gewählte Aufstellung, die Verfahren und Konzepte – gebündelt im CIR –, wohldurchdacht, konsistent und erfolgversprechend sind. Mit Hilfe des dafür ausgeworfenen Anteils im Sondervermögen sollte es möglich sein, die bestehenden Defizite in der Digitalisierung zügig abzubauen. Der RK WEST wünscht dazu viel Erfolg.

Ehrung General a.D. Zorn
Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Leiter des RK WEST dem ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Eberhard Zorn, für dessen außergewöhnliche Unterstützung des RK WEST gedankt. General Zorn hatte 2012 als damaliger Büroleiter des Generalinspekteurs bereitwillig die BMVg-interne Federführung für die alljährlichen sog. Info-Veranstaltungen BMVg übernommen, die zuvor beim inzwischen aufgelösten Führungsstab der Streitkräfte gelegen hatte. Dank seiner Unterstützung konnte diese im Jahr 1996 vom damaligen Leiter des RK, Brigadegeneral Manfred Rode, initiierte Veranstaltung des RK WEST, an der seit langem auch das Bonner Forum der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und seit einigen Jahren die Köln-Bonner Sektion der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik beteiligt sind, ohne jegliche Unterbrechung fortgeführt werden.

General Zorn hat in diesem Rahmen selbst insgesamt 9 Vorträge gehalten, 4 davon als Generalinspekteur, und steht damit einsam an der Spitze der Redner im RK WEST seit dessen Bestehen. Der Leiter des RK überreichte General Zorn als Dank die Dienstschriften des Chefs des Generalstabes der Armee, Generalfeldmarschall Graf von Schlieffen, mit den taktisch-strategischen Aufgaben aus den Jahren 1891 – 1905 in einer bibliophilen Ausgabe von 1937, die freundlicherweise von Generalleutnant a.D. Dr. Winfried Weick für diesen Zweck zur Verfügung gestellt worden war. Darüber hinaus soll eine Clausewitz-Plakette General Zorn daran erinnern, dass er auch künftig jederzeit, ob als Gast oder als Vortragender, in diesem Kreis herzlich willkommen ist.

Jürgen Ruwe, Generalleutnant a.D.