Air Power als Eckpfeiler der Kriegstüchtigkeit – Das operative Spektrum der Luftwaffe im Angesicht der Zeitenwende – Regionalkreis West am 1. Juli 2024

Generalmajor Christian Leitges spannte in seinem Vortrag einen Bogen von der durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geprägten heutigen Situation über die daraus folgen-den Konsequenzen für Fähigkeiten und Strukturen der Luftwaffe mit einem Exkurs zu zukünftigen Luftkriegsoperationen wieder zurück in die Gegenwart, einem Blick auf die umfangreichen Übungstätigkeiten der Luftwaffe in diesem Jahr werfend.
Obwohl „Landes- und Bündnisverteidigung“ auch nach Ende des Kalten Krieges stets im Aufgabenspektrum der Luftwaffe eine Rolle spielten, sind Landes- und Bündnisverteidigung heute das zentrale „Neue Normal“ – ohne die Fähigkeit zur Krisenreaktion aus dem Auge zu verlieren. Für die Luftwaffe gelte in diesem „Neuen Normal“ der Grundsatz der Aufgabenerfüllung immer im Verbund mit Bündnispartnern und Freunden. Vor allem aber benötige die Luftwaffe trotz aller Flexibilität immer noch eine hinreichende Quantität an Fähigkeiten, um die zugewiesenen Auf-träge erfüllen zu können.

Schon wenige Stunden nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine habe die Luftwaffe aktive Beiträge zur Rückversicherung unserer östlichen NATO-Bündnispartner, zur Abschreckung Russlands vor einem möglichen Angriff auf Bündnisgebiet und zur Unterstützung geleistet. So wurden Eurofighter nach Rumänien, PATRIOT Flugabwehrraketensysteme in die Slowakei verlegt und Ukrainische Soldaten u.a. an den Waffensystemen IRIS-T und PATRIOT ausgebildet. Die Luftwaffe und die Luftstreitkräfte der NATO unterstrichen damit ihr Verständnis und ihre Rolle als „First Responder“ (auch kinetisch!) im Falle eines Angriffs auf Bündnisterritorium. Für die Luftwaffe gelten dabei die Grundsätze „All-in“ – mit allen Kräften in den Einsatz – und „In-place“ – Kampf von den Heimatbasen aus wegen der schnelleren Reaktion und der besseren Unterstützungsmöglichkeiten. Entsprechend dem „NATO Force Model“ leistet die Luftwaffe so ihre Bei-träge zur „Vorneverteidigung“ unserer Bündnispartner und zum Flankenschutz von Nordnorwegen bis in die Südosttürkei. Sie schützt und sichert die „Drehscheibe Deutschland“, unterstützt unsere Partnerluftwaffen und leistet ihren Beitrag zur (nuklearen) Abschreckung, bündnisweit, schnell einsatzbereit und verlegefähig.
Um dieses Spektrum erfüllen zu können erfährt die Luftwaffe eine grundlegende Modernisierung ihrer zum Teil überalterten Systeme und erhält dringend benötigte neue Fähigkeiten bis zum Beginn des nächsten Jahrzehnts. Nicht zuletzt gehen daher 40 Prozent des Sondervermögens in die Beschaffung von Systemen der Dimension Luft. Die Fähigkeit zum Schutz von kritischer Infrastruktur, Räumen und Objekten wird mit der Beschaffung von sechs Feuereinheiten des Systems IRIS T SLM, der Ergänzung bzw. Auffüllung der PATRIOT-Systeme und der Einführung des Raketenabwehrsystems ARROW III zum Schutz Deutschlands und seiner Nachbarn vor Angriffen mit weiter reichenden ballistischen Raketen deutlich verbessert. Mit dem Kampfflugzeug F-35A steigt die Luftwaffe in die Nutzung eines Waffensystems der 5. Generation ein. 60 schwere Transporthubschrauber CH-47 werden die völlig überalterten CH-53 ersetzen. Neue Sensoren für die Luft- und Weltraumüberwachung werden das Lagebild stabiler und unabhängiger machen, und dringend benötigte Fähigkeiten zum elektronischen Kampf erhält die Luftwaffe zu Ende des Jahrzehnts bzw. zu Beginn des nächsten Jahrzehnts mit dem Aufklärungssystem Pegasus und einer adaptierten Version des Eurofighter.
Teil der Strukturanpassungen innerhalb der Bundeswehr ist der Unterstellungswechsel des Luftfahrtamtes der Bundeswehr zur Luftwaffe und der konsequente Aufbau einer „Continuous Air-worthiness Management Organization (CAMOBw)“, die zum Ziel hat, Lufttüchtigkeit und Verfügbarkeit aller fliegenden Systeme in der Bundeswehr zu verbessern, die unter der Zersplitterung von Zuständigkeiten in den verschiedenen Organisationsbereichen litten. Auch die grundsätzliche Struktur der Luftwaffe mit ihrem dreigliedrigen Aufbau wird angepasst werden – Entscheidungen dazu seien aber noch nicht gefallen

Generell schaue die Luftwaffe noch auf eine ordentliche Bewerberlage. Für den Pilotennachwuchs sei die notwendige Bewerberzahl für eine solide Auswahl gegeben. Die Verbände verfügten im Schnitt über gut 80 Prozent ihres Personalsolls. Allerdings verlangten die schon in naher Zukunft zulaufenden neuen Fähigkeiten nach priorisierter Befüllung mit hinreichend qualifiziertem Personal. Der Faktor „Personal“ sei daher auch für die Luftwaffe von überragender Bedeutung und dauernde Herausforderung. Auch die Bereitstellung der für die neuen Systeme benötigten Infrastruktur sei ein Kraftakt, bei dem alle Rädchen sauber ineinandergreifen müssten. Durch die Übereinkunft von Landesbaubehörden und BAIUD sei es aber gelungen, das Risiko der zeitgerechten Bereitstellung der Infrastruktur insbesondere für die Waffensysteme ARROW III und F-35A unter Kontrolle zu bekommen. Für die Zeit nach Auslaufen des Sondervermögens sei es wichtig, den Verteidigungshaushalt dem neuen Bedarf anzupassen, damit nicht die steigen-den Betriebskosten alle Reserven für weiter notwendig bleibende Investitionen (u.a. Munition!) verdrängen (spätestens ab 2028!).
Mit der Beschaffung der F-35A sei für die Luftwaffe die wichtige Weichenstellung in Richtung netzwerkbasierte künftige Luftkriegsoperationen erfolgt. Das mit Frankreich geplante „Future Combat Air System“ werde unbemannte Systeme in den Verbund hineinnehmen, um auch komplexesten Bedrohungen begegnen zu können.

Generalmajor Leitges schloss seinen Vortrag mit einem kurzen Rückblick auf die von der Luftwaffe im letzten Jahr federführend durchgeführte Großübung „Air Defender 2023“ (größte Luftwaffenübung seit Ende des kalten Krieges). Die jetzt anlaufende weltumspannende Verlegeübung „Pacific Skies 2024“ (Verlegung von Tornado und Eurofighter von DEU über Alaska und Japan nach Australien – auf dem Rückweg über Malaysia und Indien mit Teilnahme an Übungen in Alaska, Japan, Australien, Indien) fordere die Luftwaffe als Ganzes. Die jetzt gerade abgeschlossenen Hilfsflüge zur Versorgung der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen zeigten eindrücklich, dass die Luftwaffe auch aus dem gewohnten Spektrum herausfallende Aufträge in kürzester Zeit wahrnehmen könne (Reaktion innerhalb von 72 Stunden).
Die dem Vortrag folgende lebhafte Diskussion berührte die Felder „Unbemannte Systeme/ Drohnen, Schutz kritischer Infrastruktur, Personal, sicherheitspolitische Begründung für Übungen im pazifischen Raum/mit Indien“. Das übliche „Dankeschön“ des Regionalkreises mit Wein und Buch hat sich Generalmajor Leitges mit seinem farbigen Vortrag und seiner Bereitschaft zur offenen Diskussion wahrlich verdient!

Friedrich W. Ploeger
Generalleutnant a.D. und Leitender der Veranstaltung