Bericht vom 9. Clausewitz-Strategiegespräch am 21. September 2016 in Berlin
Herausforderungen für Sicherheitspolitik und Strategie in einem komplexen Umfeld religiöser, ideologischer und ethnischer Krisen und Konflikte: Wiederauferstehung des Kampfs der Kulturen?
9. Clausewitz-Strategiegespräch in Kooperation mit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V. und der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin am 21. September 2016
Vor einem gut besetzten Saal eröffnete der Dienststellenleiter der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin, Ministerialdirigent Frank Smeddinck, das 9. Clausewitz-Strategiegespräch mit einem Hinweis auf die hohe Aktualität des Themas.
Der Präsident der Clausewitz-Gesellschaft, Generalleutnant a.D. Kurt Herrmann, ging anschließend in seiner inhaltlichen Einführung auf eine vorher kaum gekannte Zunahme, Dichte und Parallelität von Krisen und Konflikten in unserer inzwischen global vernetzten Welt ein. Dazu verwies er u.a. auf die von Samuel P. Huntington bereits Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts formulierten Aussagen, denen zufolge einerseits weltpolitisch der Westen aufgrund seiner Dominanz in den letzten Jahrhunderten allen anderen Kulturen gegenüber steht und andererseits die klassischen westlichen Werte derzeit überall immer weniger gelten.
Universitätsprofessor Dr. phil. habil. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München nannte Huntingtons Buch „Kampf der Kulturen” als eines der am häufigsten missverstandenen Werke. In seiner kritischen Auseinandersetzung zum Thema “Politische Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für das Zusammenleben der Kulturen” ging er vor allem auf die Bedeutung zivilisatorischer Elemente für Ordnung und Stabilität ein und analysierte die Zielsetzung sowie die Konsequenzen westlicher militärischer Interventionen der letzten Jahre. Unter Bezug auf Huntingdon warnte er vor der Versuchung, westliche Normen zu universalisieren, wodurch die Gefahr bestünde, dass das westliche Modell in Misskredit gebracht würde. Als ein Fazit nannte er die Notwendigkeit, stärkere Zurückhaltung bei der Definition und Verfolgung politischer Ziele zu üben und keine doppelten Standards anzuwenden, um der Propaganda den Raum zu nehmen und zu vermeiden, dass weiterhin eine – von Huntington befürchtete – Situation entsteht, in der “der Rest Welt” gegen den Westen steht.
Generalleutnant a.D. Hans-Werner Fritz, der ehemalige Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr und jetzige Vizepräsident der Clausewitz-Gesellschaft, sprach im zweiten Impulsvortrag zum Thema “Wie stellen sich Streitkräfte auf die neuen Herausforderungen und Aufgaben ein: Fallbeispiel Bundeswehr”. Ausgehend von höchst einprägsamen Beispielen aus Auslandseinsätzen der Bundeswehr, zeigte er konkrete Forderungen an Struktur, Fähigkeiten, Personal, Material, Ausbildung und Übungen der Bundeswehr auf. Dabei reflektierte er u.a. auch die Vorgaben des Weißbuchs 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, stellte die Anforderungen an interkulturelle Kompetenz der Soldaten heraus, betrachtete die Besonderheiten zur Multinationalität in heutigen und künftigen Koalitionen und unterstrich die besonderen Herausforderungen an die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der Truppe. Er würdigte die bereits erreichten Anpassungen und Verbesserungen, ohne die weiterhin erforderliche Nachjustierung und nachhaltige Stärkung künftig erforderlicher Fähigkeiten zu verschweigen.
In der ausgedehnten Diskussionsphase wurden zunächst Fragen auf dem Podium zum Einsatz-bestimmenden politischen Willen, zur Bereitschaft der Politik, militärische Fähigkeiten im Bedarfsfall als “äußerste” Instrumente (ultima ratio) der Politik auch tatsächlich einzusetzen, zur Abschätzbarkeit des erhofften Erfolgs militärischer Interventionen und zur Rolle der Medien – insbesondere zum Aspekt Mediendruck auf die Politik – sowie zur Haltung der Bevölkerung gegenüber Auslandeseinsätzen und auch kollektiver Verteidigung erörtert.
Für das danach einbezogene Auditorium eröffnete Generalleutnant a.D. Jürgen Bornemann, als Vertreter der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, den Fragereigen. Es standen dabei beispielsweise das Verhältnis des Westens zur Russischen Föderation, die im Strategischen Konzept der NATO neu justierten Säulen „Kollektive Verteidigung“ und Krisenmanagement, die Vertretung westlicher Werte sowie die Verantwortung für die Menschenrechte und das Völkerrecht gegenüber dem Zwang zur „Realpolitik“ im Umgang mit autoritären Staaten und die besonderen Herausforderungen durch islamistische Terroristen im Fokus der lebhaften und bisweilen auch recht kontrovers geführten Aussprache, die insgesamt ein beachtlich breites Themenspektrum abdeckte. Auch Fragen zur Bedeutung und Wahrung nationaler Identität, zu Möglichkeiten und Grenzen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und – nicht zuletzt – zum Werteverständnis und zur Motivation von Soldaten der Bundeswehr angesichts des veränderten Sicherheitsumfeldes wurden behandelt. Weitgehend Übereinstimmung herrschte darüber, dass anstelle des von Huntington kreierten politischen Kampfbegriffes „clash of civilizations“ (eher missverständlich in der deutschen Ausgabe mit „Kampf der Kulturen“ übersetzt) eine differenziertere Betrachtung und sprachliche Abrüstung – gerade in Zeiten emotional aufgeladener Atmosphäre – geboten erscheint.
Der Moderator wies in seinen abschließenden Worten nochmals auf die Bedeutung zivilisatorischer Modelle für die Sicherheitspolitik hin, erwähnte die häufig zu beobachtende Instrumentalisierung von Religion für Machtpolitik und verwies auf den Eindruck einer neu entstandenen Weltordnung hin, die zunehmend durch einen globalen Systemkonflikt zwischen autoritären und demokratischen Staaten geprägt zu sein scheint. Diesem ein Gegenmodell mit einer durchgängigen Strategie entgegen zu setzten, erfordere vermutlich umfänglichere und tiefergehende Betrachtungen, die in einer gesonderten Veranstaltung behandelt werden könnten. Er beendete die Veranstaltung mit Dank an die Referenten, das Unterstützungsteam der drei Kooperationspartner und vor allem auch an das höchst interessierte und engagierte Publikum.
Quelle der nachfolgenden Abbildungen: Landesvertretung Sachsen-Anhalt: