Besprechung des Romans von Jürgen von Falkenhayn: Zerrissenes Land, Bd. 1: Krieg und Teilung
Die Rahmenhandlung des Romans Zerrissenes Land von Generalmajor a.D. Jürgen von Falkenhayn ist sicher für die Generation der Kriegsteilnehmer nicht ungewöhnlich: Zu Beginn eine Schwangerschaft bedingte Kriegsehe zwischen Leutnant Max von Hartmannshausen und seiner Frau Claudia, geborene Hohlweg. Max stammt aus einer alten preußischen Familie mit langer Militärtradition und Gutsbesitz am Südrand von Breslau. Claudia ist die Tochter des Eigentümers einer Breslauer Privatbank und Medizinstudentin. Als talentierter Panzerführer mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, geriet der Leutnant in Stalingrad in russische Gefangenschaft. Dort wandte er sich nach inneren Kämpfen vom Nationalsozialismus ab und wurde zum überzeugten Sozialisten-Kommunisten wurde. Er trat dem Bund Deutscher Offiziere bei. Sein konservativer Vater wurde am Kriegsende von russischen Soldaten erschossen. Sein Schwiegervater, ein erbitterter und im Widerstand tätiger Gegner Hitlers, wurde vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Claudia wurde nach dem Krieg Ärztin. Max verließ nach der Kriegsgefangenschaft seine Familie, gestaltete den Aufbau der Kasernierten Volkspolizei (KVP) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).und der Nationalen Volksarmee (NVA) mit und brachte es zum Generaloberst. Einer seiner Zwillingssöhne ging in die DDR und wurde dort ebenfalls General, sein anderer Sohn Offizier der Bundeswehr.
Nach der Lektüre könnte diese Rahmenhandlung für Leserinnen und Leser zunächst als Dutzendgeschichte aus der früheren deutschen Oberschicht empfunden werden, wie sie viele Offiziere damals ähnlich durchlaufen haben, bis auf den Sachverhalt, dass bei Falkenhayn ein früherer Wehrmachtsoffizier mit adeligem Namen in der NVA Generaloberst werden konnte. Diese Darstellung ist eine dichterische Freiheit des Autors. Eine solche Karriere hat es nicht gegeben. Bereits am 15.Februar 1957 entschied nämlich die Volkskammer der DDR die Entlassung aller früheren Wehrmachtsoffiziere aus der NVA, so dass 293 Offiziere bis Mitte 1959 aus diesem Kreis den Dienst quittieren mussten.
Es wäre interessant zu erfahren, zu welchen unterschiedlichen Bewertungen Leserinnen und Leser aus der Kriegsgeneration über das Verhaltens von Max kommen werden, weil sie in ähnlicher Lage in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft anders als er entschieden haben. Und das macht die Lektüre des Romans spannend, weil er zur Selbstreflexion anregt.
Die Rahmenhandlung ist in Wirklichkeit ein raffiniert exemplarisches Medium des Autors zum Darstellen der tiefen Umbrüche, die über Deutsche der bisherigen Führungsschicht unmittelbar vor und im Zweiten Weltkrieg hereinbrachen und ganz unterschiedlich bewältigt wurden. Der Autor setzt seine Figuren der harten Wirklichkeit dieser Umbrüche aus, die sie häufig erst im Laufe der Zeit vollständig zu begreifen vermochten: Der Zerstörung der bisher führenden gesellschaftlichen Schicht in Deutschland durch die Nationalsozialisten, dem Untergang des bisherigen Offizierkorps im Krieg und seiner Prägungen sowie Werte, den Schalmeienklängen vom neuen Menschen sowie zum Aufbau eines antifaschistischen deutschen Nachkriegsstaats durch die Kommunisten, der DDR, denen mancher frühere Wehrmachtsoffizier erlag. Schließlich der Emanzipation vieler deutscher Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Diese Transition, der die Figuren seiner Rahmenhandlung ausgesetzt werden, im Rahmen einer Geschichte, die- es sei wiederholt – in der Zeit des Krieges, der Gefangenschaft und nach ihr nicht ungewöhnlich war, stellt der Autor differenziert sowie spannend für den Leser dar. Die adelige Herkunft von Max und die großbürgerlichen Ursprünge seiner Frau sind in Falkenhayns Roman nur noch brüchige Kulisse angesichts der fortschreitenden Durchdringung der Gesellschaft mit den Zielen der Nationalsozialisten in Deutschland. Der Bankdirektor, Claudias Vater, hatte sich gegen diese Entwicklung aufgebäumt und früh dem Widerstand gegen Hitler angeschlossen. Max, der den Nationalsozialismus nicht ablehnte und vor allem Offizier werden wollte, nahm diese Haltung zunächst indifferent-neutral auf. Die den jungen Offizier prägenden Offizierpersönlichkeiten bei der Ausbildung und im Krieg waren Repräsentanten des tradierten deutschen Soldatentums, versierte Menschenführer und militärische Könner. Ihre Persönlichkeiten ließen die auf Vernichtung der Sowjetunion und ihrer Menschen ausgerichteten Absichten und verbrecherischen Taten der Nationalsozialisten für Max und viele seiner Kameraden zunächst unscharf verschwimmen. In Stalingrad sind in den Jahren 1942/43 die meisten von ihnen gefallen und hinterließen bei Max ein Vakuum an innerer Orientierungsmöglichkeit im Austausch mit ihnen. An ihre Stelle traten vielfach vom Nationalsozialismus überzeugte Reserveoffiziere wie sein Bataillonskommandeur. Der Untergang des bisherigen Offizierkorps, dass nach den Werten des abendländisch geprägten, ritterlichen Soldaten selbst in den Härten des Kampfes in Russland gehandelt hatte, bewirkte einen Umbruch im Leben von Max von Hartmannshausen.
Die Erkenntnis über Hitlers verbrecherische und dilettantische Kriegsführung sowie eine Sehnsucht nach neuem Lebensinhalt trieben Max nach inneren Kämpfen in die Mitgliedschaft im Bund Deutscher Offiziere, welchem angesehene, hoch befähigte Generale wie Walther von Seydlitz (1888-1976) angehörten. Das war ein weiterer Umbruch in seinem Leben. Der bisher konservative junge Offizier wurde von den Verlockungen des Sozialismus-Kommunismus eingefangen, legte seine bisherigen Wertevorstellungen und Prägungen ab und beteiligte sich am Aufbau von KVP und NVA. Am Tag des Falls der Berliner Mauer brach für Max seine Welt im real existierenden Sozialismus der DDR zusammen. Er wollte und konnte sich den durch die Protestbewegung der Bürger seines Staates ausgelösten Entwicklungen nicht stellen und erschoss sich.
Schließlich würdigt der Autor mit der Schilderung der beruflichen und persönlichen Entwicklung von Claudia von Hartmannhausen die deutschen Frauen, die nach Tod und Gefangenschaft ihrer Ehemänner im und nach dem Zweiten Weltkrieg alleine Kinder großgezogen, den Lebensunterhalt für sich und ihre Nachkommen in den Hungerjahren nach dem Krieg verdient und sich eine eigene Existenz aufgebaut haben.
Wir können gespannt sein auf den zweiten Band von Falkenhayns Roman unter dem Titel Zerrissenes Land, feindliche Brüder. Es wird die Entwicklung des im Westen gebliebenen Zwillingsbruders von Max, einem Offizier der Bundeswehr, zum Inhalt haben
Generalmajor a.D. Jürgen von Falkenhayn hat im ersten Band seines Romans Menschen dargestellt, die in den Nöten des Zweiten Weltkriegs unter der Diktatur des Nationalsozialismus und danach lebten und ihren Weg gehen wollten und gegangen sind, Menschen in ihrem Widerspruch. Der Roman wird bei der Kriegsgeneration Zustimmung, aber auch Kritik aufgrund persönlicher Betroffenheit und Erfahrungen auslösen. Für die Nachkriegsgeneration zeichnet er ein differenziertes Bild der damaligen Zeit, dass sich von vielen holzschnittartigen Darstellungen über das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg abhebt.
Christian E. O. Millotat und Manuela R. Krueger
9. Mai 2019
Verlag Books on Demand GmbH, Norderstedt 2019
Euro 12.90, ISBN 978-3-7481-3877-8