Das Auslandsstudium an der Tel Aviv University, Israel
Leutnant B.Sc. Dominique Gerber, Helmut-Schmidt-Universität/UniBw Hamburg
Powerpoint-Anteil als PDF: 160914-gerber_isreal_-clausewitz-gesellschaft
Warum Israel?
- Als einziger jüdischer Staat weltweit, umgeben von muslimischen Nachbarstaaten, schwankt Israel seit einigen Jahren zwischen einer orientalisch geprägten Mentalität und einem westlich geprägten Demokratieverständnis. Israel ist ein Brennpunkt für Konflikte im Nahen Osten und als solcher stets im Mittelpunkt westlicher Berichterstattung. Diese geben oft ein verzerrtes – leider oft negatives – Bild von Israel wider. Als ich mich für einen Studienplatz in Tel Aviv bewarb, wollte ich dieses mediale Bild ergründen und hinter die Kulissen der Berichterstattungen schauen.
- Für den politisch gebildeten Soldaten ist es unerlässlich, sich kritisch mit der aktuellen (sicherheits-) politischen Lage zu befassen und sich ein umfassendes Bild von den Hintergründen und Dynamiken der immer wieder aufkeimenden Konflikte im Nahen Osten zu machen. Israel pflegt seit 50 Jahren eine enge diplomatische Beziehung zu Deutschland und ist mit seiner Einsatzerfahrung auch ein wichtiger Kooperationspartner für die Bundeswehr auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung.
- Israel, das von vielen religiösen Gemeinden auch als das Heilige Land bezeichnet wird, war Schauplatz biblischer Ereignisse und vereint in seiner Hauptstadt Jerusalem wichtige Pilgerorte des Christentums, Judentums sowie des Islam. Israel ist ein Schmelztiegel orientalischer Gebräuche und der Jahrtausende alten jüdischen Traditionen, die in der Diaspora am Leben gehalten wurden. Aus kultureller und historischer Neugier wollte ich eine Gesellschaft kennenlernen, die sich von einer typisch westlich (christlich) geprägten Gesellschaft unterscheidet.
Das Auslandsstudium – Brukhim haBaim (Willkommen!)
Ich besuchte vom 28. Juli 2015 bis zum 10. Januar 2016 die Tel Aviv University, um dort in Fächern wie Middle Eastern Studies, Israeli Politics und Theories in Communication and Digital Media meinen Horizont auch über die Grenzen meines Studiums der Psychologie hinaus zu erweitern.
Tel Aviv University – Die Tel Aviv University (TAU) zählt, zusammen mit der Universität von Haifa und Jerusalem, zu den renommiertesten Universitäten des Landes und ist, mit rund 30.000 Studierenden aus allen Regionen Israels und der Welt, die größte Universität Israels. Das breite interdisziplinäre Studienangebot mit Schwerpunkt auf der Geschichte und Politik des Nahen Ostens, sowie der jüdischen Identität und dem Judentum, bietet einen tiefen Einblick in Israels interessante, facettenreiche und oft auch umstrittene Tradition, Kultur und Identität. Die TAU hat ein sehr ausgeprägtes, soziales Netzwerk, das den Studenten viel an Kultur-, Sport- und akademischen Programmen bieten kann. Das International Office veranstaltet monatlich mehrtägige Reisen für die Studenten in den Süden (Eilat) oder Norden (Galiläa) Israels an. Außerdem, ermöglicht das Jewish Community Center die Teilnahme an wöchentlichen Gesprächsrunden zu religiös-politischen Themen mit berühmten Rabbinern aus den USA.
Ulpan – Für jeden internationalen Studenten gehört ein sogenannter Ulpan (Hebräisch-Sprachkurs) semesterbegleitend oder vor Beginn des Semesters zum Pflichtprogramm. Der Ulpan ist ein Hebräisch-Intensivkurs, in dem innerhalb von sieben Wochen bis zu drei Stunden täglich Grundlagenkenntnisse der hebräischen Sprache gelehrt werden. Das Sprachniveau der Studenten wird mithilfe eines Eingangstests geprüft. Die Studenten werden anschließend den Kursen der entsprechenden Leistungsniveaus zugeteilt. Nach Abschluss des Ulpan, besteht die Möglichkeit im nächsthöheren Leistungsniveau semesterbegleitend mit dem Hebräisch-Unterricht fortzufahren und sogar Arabisch als Zweitsprache zu erlernen. Im Gegensatz zum Ulpan vor Beginn des Semesters, sind die Sprachkurse während des Semesters keine Intensivkurse. Sie finden meistens morgens statt und dauern ca. 1 ½ Stunden.
Vorstellung des „Arbeitskreises Israel“
Der Arbeitskreis Israel wurde im Januar 2015 an der Helmut-Schmidt-Universität/UniBw HH (HSU) von drei Politikstudenten mit der Unterstützung von Dr. Martin Nassua zeitgleich mit dem Austauschprogramm an der Tel Aviv University ins Leben gerufen. Wir arbeiten eng mit der jüdischen Gemeinde in Hamburg, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Hamburg sowie mit dem Jungen Forum in Berlin zusammen.
Unsere Motivation begründet sich in (1) der Förderung des Austauschs zwischen jungen, deutschen Offizieren und Israel, (2) der Vermittlung eines differenzierteren Bildes von Israel, dem Nahen Ostens sowie dem Nahost-Konflikt, (3) dem Anregen differenzierter Debatten über Problemstellungen des Nahen Ostens und (4) dem Kontakt der studierenden Offiziere und Offizieranwärter mit dem jüdischen Leben in Hamburg.
Wir haben seit unserer Gründung schon mehrere Projekte zur Realisierung unserer Vorhaben durchgeführt. Dazu zählen beispielsweise zwei einwöchige Bildungsreisen nach Israel, um Kontakte für einen weiteren Austausch unserer Universität mit militärischen sowie akademischen Einrichtungen in Israel zu gewährleisten. Ein Austausch zwischen den Israel Defense Forces und Studierenden der HSU, von dem der Gegenbesuch der israelischen Offiziere noch aussteht, findet bereits statt. Des Weiteren bieten wir auch Seminare und militärhistorische Vortragsthemen im Rahmen einer Ringvorlesung an.
Erkenntnisse und Erfahrungen
- Einstellung der Israelis gegenüber Deutschland – In Tel Aviv ist eines gefragt: Offenheit und Direktheit. Wer interessiert an der israelischen Kultur und jüdischen Tradition ist, kann sich überall beteiligen. Die meisten Israelis sind sehr interessiert an Deutschland und nehmen Deutsche sehr positiv wahr. Tel Aviv ist, verglichen mit dem Rest Israels, politisch sehr liberal und fortschrittlich. Die meisten meiner israelischen Bekannten waren schon einmal in Deutschland oder würden gerne einmal dorthin reisen. Nicht zuletzt, weil schon ihre Großeltern eine deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Ich habe es allerdings auch schon erlebt, dass ich direkt von Israelis mit Skepsis zu der Einstellung der deutschen Bevölkerung zur jüdischen Bevölkerung in Deutschland befragt wurde.
- Komplexität des Nahost-Konfliktes – Die Hintergründe und Dynamiken des Nahost-Konfliktes (v.a. des Konfliktes mit der palästinensischen Minderheit in Israel) sind sehr vielschichtig. Ein klares Schuldverhältnis existiert nicht. Der Konflikt ist in der Israelischen Gesellschaft tief verwurzelt und erzeugt sowohl bei den Israelis als auch bei den Palästinensern tiefes Misstrauen in einen Friedensprozess, der schon mehrmals (durch Einwirkung beider Konfliktparteien) gescheitert ist. Es gilt zu verstehen, dass man differenziert über Lösungen debattieren anstatt direkt urteilen sollte.
- Jüdisch oder demokratisch? – Eine aktuelle Debatte, die auf religiöser sowie politischer Ebene geführt wird, bezieht sich auf die Auslegung des staatlichen Grundverständnisses: Ein jüdischer Staat würde eine Unterordnung aller anderen religiösen und ethnischen Gruppen unter die jüdischen Regeln und Gesetze zur Konsequenz haben; ein demokratischer Staat fördert die Gleichberechtigung aller im Staat vertretenen religiösen und ethnischen Gruppen zu Ungunsten der Bewahrung der jüdischen Identität.
- Gesellschaftlicher Stellenwert des Wehrdienstes – Israel befindet sich seit seiner Staatsgründung im Jahre 1948 im Kriegszustand mit den meisten seiner Nachbarländer. Deshalb hat der militärische Dienst einen viel höheren Stellenwert in der israelischen Gesellschaft als beispielsweise in Deutschland. Die Bedrohung ist, anders als in Deutschland, greifbar: Ein Fehler z.B. im Wachdienst kann tödliche Konsequenzen haben. Der Terrorismus ist Realität; die Meldungen über Opfer von Messerangriffen sind seit August 2015 beinahe alltäglich. In Israel sind Männer sowie Frauen dazu verpflichtet mindestens 2-3 Jahre Wehrdienst zu leisten. Eine Verweigerung kann mit einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Dennoch gibt es seit wenigen Jahre die Bestrebung, sich dem Wehrdienst aus Gewissensgründen zu entziehen. Die Argumente sowohl auf Seiten der Befürworter als auch auf Seiten der Gegner sind gut nachvollziehbar: Deeskalationsversuche treffen in dieser Debatte auf das uneingeschränkte Sicherheitsbedürfnis der meisten Israelis.
- Fazit – Den größten Erfolg in meinem Auslandsstudium sehe ich darin, dass ich über meinen westlich geprägten Tellerrand hinaus in eine Nation einsehen konnte, die seit ihrer Gründung im Konflikt mit ihren Nachbarländern steht. Ich habe einige Dinge gelernt, die mein Weltbild umgekehrt haben und mich viele Dinge haben kritischer betrachten lassen. Meine Sicht auf die Innen- und Außenpolitik Israels hat sich verändert und hat mich die politische Lage des Nahen Ostens in einem größeren Kontext sehen lassen. Ich habe gelernt, dass die komplexen, ethnischen Konflikte in und um Israel bis weit in die Gründungsphase Israels bzw. bis hin zu der Festlegung der heutigen Grenzen des Nahen Ostens im Ersten Weltkrieg zurückgehen und sich diese nicht in den nächsten Jahren beilegen lassen. Israel ist und bleibt, auf diplomatischer sowie auf militärischer Ebene, einer der wichtigsten Kooperationspartner Deutschlands im Mittleren Osten. Von Israel lernen heißt, den Terror eindämmen zu lernen, aber auch, dass die militärische Sicherheit eines Landes und die Identität eines Volkes nicht zu Ungunsten einer funktionierenden Demokratie aufgewogen werden können.