Die Taiwan-Frage im Mächteringen zwischen der Volksrepublik China und den USA – RK Nord am 05.09.2023
Am 5. September 2023 fand in Hamburg die siebte Veranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. diesen Jahres statt. Professor Dr. Maren Tomforde trug zum Thema vor:
“Die Taiwan-Frage im Mächteringen zwischen der Volksrepublik China und den USA“
In den vergangenen Jahren hatten sich Vortragsveranstaltungen des Regionalkreises Nord mehrfach mit der Volksrepublik China befasst und dabei ganz unterschiedliche Aspekte beleuchtet. In dieser Vortragsveranstaltung wurden die Beziehungen zwischen der VR China und Taiwan im geopolitischen Umfeld näher betrachtet. Wer wäre berufener, hierzu vorzutragen, als Professor Dr. Maren Tomforde, seit 2021 Fachgebietsleiterin „Globale Internationale Beziehungen“ an der Fakultät „Politik, Strategie und Gesellschaftswissenschaften“ der Führungsakademie der Bundeswehr und Expertin für sicherheitspolitische Herausforderungen im indopazifischen Raum. Der Saal war wieder voll besetzt.
Die sicherheitspolitischen Spannungen zwischen China und Taiwan stellen einen der bedeutendsten regionalen Konflikte im indopazifischen Raum dar. Diese komplizierte und konfliktbeladene Beziehung besteht bereits seit Ende des chinesischen Bürgerkrieges 1949. Unterschiedliche politische Ansprüche und ideologische Vorstellungen tragen seitdem zu den bestehenden Spannungen zwischen der Volksrepublik China und der Republik China, also Taiwan, bei. Besondere Brisanz entwickelt dieser Konflikt, weil sich in ihm geopolitische, weltwirtschaftliche, völkerrechtliche und ideologische Differenzen zu einem nahezu unlösbaren Gesamtkomplex verbinden.
Völkerrechtlich besteht seit 1971 weltweiter Konsens: Es gibt nur ein China und Taiwan ist Teil davon. Daher sitzt die VR China in der VN, während Taiwan völkerrechtlich seitdem nicht mehr anerkannt ist. So unterhält auch Deutschland keine diplomatischen Beziehungen mehr zu Taiwan, betrachtet Taiwan aber als Wertepartner.
Die Volksrepublik China erhebt Anspruch auf die demokratische Inselrepublik Taiwan, und die Staats- und Parteiführung, allen voran Xi Jingpin, betrachtet den Anschluß Taiwans, den sie als „Wiedervereinigung“ bezeichnet, als Teil des „Chinesischen Traums“ und die Erfüllung der „Ein-China-Politik“. Die Gefahr einer gewaltsamen Eroberung Taiwans durch die VR China scheint größer denn je.
Dies würde massive Auswirkungen auf die sicherheitspolitische und militärische regionale Gesamtkonstellation haben und vitale außen- und sicherheitspolitische Interessen der USA gefährden. Ähnlich gefährdet fühlen sich z.B. Japan, Südkorea oder Australien.
Taiwan liegt nahe einiger der weltweit wichtigsten Handels- und Seefahrtsrouten; eine chinesische Beherrschung dieser Routen könnte einschneidende Folgen für den Welthandel haben.
Zudem hat sich der kleine Inselstaat Taiwan zu einer weltwirtschaftlichen Großmacht – gerade auf dem Gebiet der Hochtechnologie – mit intensiven Handelsbeziehungen zu den USA und Europa entwickelt. Darüberhinaus ist Taiwan zum weltweit führenden Herstellen von Halbleitern geworden; damit sind sowohl die USA als auch Europa wirtschaftlich unmittelbar von Taiwan abhängig.
Geschichtlich ist die Lage weniger eindeutig: Die Insel Taiwan wurde erst 1683 Teil des Chinesischen Kaiserreiches, bevor es 1895 japanische Kolonie wurde. Unter japanischer Herrschaft begann ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung, der mit der anhaltenden Rückständigkeit des chinesischen Festlandes kontrastierte. Die anfängliche Freude der Inselbewohner über die Wiedervereinigung mit China 1945 wich rasch Ernüchterung, als sie die chinesische Herrschaft als hochgradig korrupte rückständige Diktatur erlebten. 1947 kam es sogar zu einem Volksaufstand auf der Insel, der brutal niedergeschlagen wurde. Nach der Niederlage der Kuomintang im chinesischen Bürgerkrieg 1949 flüchteten etwa 1,5 Mio deren Anhänger nach Taiwan, wo Chiang Kai-Shek die „Republik China“ etablierte, eine Diktatur mit bis 1987 fortdauerndem Kriegsrecht. Unter den Geflüchteten befanden sich zahlreiche Angehörige der ehemaligen Elite der alten Republik China. Diese waren ein entscheidender Faktor bei der Fortsetzung des schnellen Aufstiegs Taiwans vom armen Agrarland zum modernen Industriestaat. Dazu trug auch ein gezielter Ausbau des Bildungssystems bei.
Seit gut dreißig Jahren leben die 23 Millionen Taiwanesen in einer stabilen und gefestigten pluralistischen Demokratie mit allen bürgerlichen Freiheiten, vergleichbar mit Japan oder der Schweiz. Diese Errungenschaften wollen sie sich erhalten.
Mit großer Sorge betrachten die Taiwanesen daher die Entwicklung in Hongkong: Dort hatten die britischen Kolonialherren erst kurz vor der Übergabe der Kronkolonie an die VR China 1997 begonnen, demokratische Institutionen aufzubauen. Seit 1997 ist Hongkong eine chinesische Sonderverwaltungszone unter Beibehaltung einer freien Marktwirtschaft und zugesagter innerer Autonomie, entsprechend dem Prinzip “Ein Land, zwei Systeme”. Noch 2013 galt Hongkong dadurch im Gegensatz zum Rest Chinas als regionaler Hort der Meinungsfreiheit. Spätestens seit 2014 allerdings bricht China seine Autonomie-Zusage zunehmend und schränkt die Freiheiten der Hongkonger Bevölkerung ein.
Parallel lässt sich eine Entwicklung zu einer immer stärker werdenden taiwanischen Identität feststellen, wobei sich immer weniger Einwohner in erster Linie als Chinesen sehen.
Wie weiter? Will Xi Jinping noch zu seinen Lebzeiten die Wiedervereinigung erreichen, notfalls mit Waffengewalt? Das würde mit großer Wahrscheinlichkeit massiven Widerstand der Taiwanesen erzeugen, die sich mehrheitlich immer weniger als Chinesen fühlen und die ihre jahrzehntealten demokratischen Rechte erhalten wissen wollen. Die USA würde zwangsläufig in diesen Konflikt hineingezogen, aber ebenso alle anderen Anrainerstaaten.
In der Diskussion kamen folgende Hinweise aus dem Zuhörerkreis:
Die Anrainerstaaten einschließlich Vietnam und Singapur rüsten derzeit ebenfalls massiv auf, v.a. maritim, und führen auch Militärgespräche auf Arbeitsebene durch, sozusagen als informelle Koalition der Betroffenen.
In sozialen Medien in der VR China wurde kürzlich mehrfach erwähnt, daß auch das russische Wladiwostok bis 1860 ein Teil Chinas war.
Seit Jahren stimmen bei Befragungen der taiwanesischen Bevölkerung über 60% dafür, den derzeitigen Status Quo unbefristet beizubehalten. Nur eine sehr kleine Minderheit stimmt dem baldigen Anschluß an die VR China zu.
Es bestand Konsens unter den Zuhörern, daß die Rechte der Taiwanesen gewahrt werden müssen und daß der taiwanesische Mehrheitswillen zu respektieren ist.
Unter allen völkerrechtlichen und geopolitischen Aspekten wäre es vermutlich das derzeit mögliche Optimum, den derzeitigen Status Quo Taiwans möglichst dauerhaft beizubehalten.
Nach einer lebhaften Diskussion klang der Abend beim gemeinsamen Abendessen vom Buffet und anschließenden Gesprächen in lockerer Runde aus.
Dr. Hans-Peter Diller
Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord
Bild: Quelle StBtsm d.R. Tiburski, Clausewitz-Gesellschaft e.V.