“Erfahrungen mit acht Jahren Euro-Rettungspolitik” – RK WEST am 26. 11. 2018
Zum Jahresabschluss widmete sich der RK WEST einem Thema von allgemeinem Interesse: Der Euro-Rettungspolitik. Dazu trug der langjährige ehemalige Haushaltsdirektor des BMVg Ministerialdirektor a.D. Dipl.-Volksw. Dr. Paul Jansen vor, der sich seit Beginn der Diskussionen um die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung intensiv mit diesem Thema befasst hatte.
Einführend beleuchtete Dr. Jansen zunächst die Entstehungsgeschichte der Europäischen Währungsunion. Sie wurde insbesondere von französischer Seite protegiert, um die Dominanz der Deutschen Bundesbank auf dem Feld der Währungspolitik zu beenden. Die grundsätzliche Einigung über die Einführung einer Gemeinschaftswährung war dann offenbar eine wesentliche Voraussetzung für die Zustimmung Frankreichs zur deutschen Vereinigung. Bundeskanzler Kohl habe sich zum entschiedenen Anwalt einer Währungsunion gemacht, sei dabei allerdings noch Ende 1991 davon ausgegangen, dass eine Währungsunion ohne politische Union auf Dauer abwegig sei.
Viele Wissenschaftler der Volkswirtschaft hätten das ähnlich gesehen und gewarnt, der Vertrag von Maastricht, mit dem 1992 die Einführung und die Regeln einer Europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion beschlossen wurde, komme zu früh. Tatsächlich erfüllten bei der Einführung der Gemeinschaftswährung zum 1.1.1999 nicht einmal alle 11 Gründungsländer die Maastricht-Konvergenzkriterien, die eigentlich Voraussetzung für den Beitritt sein sollten. Im Jahr 2000 wurde dann trotz vieler Warnungen von Experten auch Griechenland in den Währungsverbund aufgenommen.
Dennoch schien die gemeinsame Währung im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens ein voller Erfolg zu sein. Das änderte sich jedoch in der Folge der Finanzkrise von 2008. Die sich daraus entwickelnde Eurokrise war vielschichtig, sie umfasste eine Staatsschulden-, eine Banken- und eine Wirtschaftskrise. Einige Länder gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die sie nicht allein lösen konnten. Die Probleme in Spanien, Irland und Portugal, insbesondere aber in Griechenland, entwickelten sich 2010 zu einer Gefahr für den Euro-Raum und gaben den Anstoß für den sog. Euro-Rettungsschirm.
Getreu dem Motto „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ (Angela Merkel) sei dann von der EU unter Inkaufnahme von Tabubrüchen und Regelverletzungen eine Interventionsspirale in Gang gesetzt worden, die immer tiefer in das ökonomische, rechtliche und politische Gefüge Europas eingegriffen habe. Unter Verletzung der No-Bail-Out-Klausel seien ab 2010 drei Rettungspakete für Griechenland, je eines für Irland, Portugal, Spanien und Zypern aufgelegt worden. Von den Zusagen seien ca. 400 Mrd. € in Anspruch genommen worden – z.T. mit Fälligkeit bis zum Jahr 2070.
Flankierend dazu hat die Europäische Zentralbank (EZB) seit ca. 4 Jahren ihre Null-Zins-Politik zur Ankurbelung der Wirtschaft verfolgt und darüber hinaus Staatsanleihen in Höhe von 2,1 Billionen € aufgekauft. Warnungen aus der Wissenschaft – 189 Volkswirtschafts-Professoren unterzeichneten 2011 eine Petition gegen den Plan, den Euro-Rettungsschirm zu einem dauerhaften Rettungsmechanismus auszubauen – wurden nicht beachtet, Verfassungsbeschwerden abgewiesen oder an den EUGH überwiesen.
Im Ergebnis sei der Euro-Raum zwar zusammengehalten worden, alle Staaten verzeichneten wieder ein Wirtschaftswachstum und die katastrophale Lage auf dem Arbeitsmarkt in Südeuropa habe sich spürbar verbessert; die grundlegenden Probleme seien damit jedoch nicht gelöst. Vielmehr blieben immense Risiken bestehen und könnten sich noch verschärfen. Die fehlende Möglichkeit von Krisenländern sich durch eine Wechselkursanpassung zu sanieren, wie das in der Vergangenheit regelmäßig geschehen sei, führe dort zu erheblichen innenpolitischen Problemen. Die ihnen zur Haushaltskonsolidierung auferlegte strikte Austeritätspolitik betrachteten einige Länder als entscheidendes Hemmnis für eine wirtschaftliche Erholung. Und Deutschland gerate wegen seines Handelsbilanzüberschusses zunehmend in die Kritik.
Die Rettungspakete hätten wegen der damit verbundenen Auflagen nicht zu Dankbarkeit gegenüber den Garanten der Kredite, sondern oftmals zu Ressentiments, Zerwürfnissen und Unfrieden geführt. Insofern sei der Zusammenhalt in Europa durch die Währungsunion von Ländern mit unterschiedlicher Wirtschaftskraft und Mentalität nicht gestärkt worden. Die Annahme, die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrages führten quasi automatisch zu einer Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse, habe sich nicht bewahrheitet.
Eine grundlegende Lösung der Probleme zeichne sich nicht ab. Ein Ausscheiden kleinerer Länder, wie Griechenland, aus dem Euro wäre 2010 mangels geeigneter Vorkehrungen zwar schwierig, 2015 jedoch möglich gewesen. Es sei aber am Widerstand Frankreichs gescheitert, das selbst seit Jahren das Defizitkriterium nicht erfüllt. Inzwischen stelle Italien aufgrund seiner Wirtschafts- und Schuldenlage sowie der mangelnden Bereitschaft der italienischen Regierung, notwendige Reformen umzusetzen, ein weitaus größeres Problem dar. Ein Rückzug Italien aus dem Euro sei allerdings eher unwahrscheinlich. Eine Transfer-Union, wie sie sich die Südländer und Frankreich zum Ausgleich des wirtschaftlichen Gefälles zwischen Nord und Süd vorstellten, fände im Bundestag keine Zustimmung. Die finanziellen Risiken für Deutschland seien – einschließlich der Target2-Salden – allerdings bereits heute in einer kaum vorstellbaren Dimension. Wie sich die Lage weiter entwickele sei in hohem Maße unsicher. Das Mantra der Bundeskanzlerin, dass ein Scheitern des Euro zwingend ein Scheitern Europas bedeute, teile er allerdings nicht.
An diesen hochinformativen, aber aufgrund der Faktenlage nicht gerade hoffnungsfroh stimmenden Vortrag schloss sich eine ausführliche Aussprache an, in der die Betroffenheit über die Gefahren und Risiken der Währungsunion augenscheinlich war, aber auch die Vorteile der gemeinsamen Währung, u.a. für Wirtschaft und Tourismus, betont wurden.
Auch beim anschließenden Jahresabschlussempfang im Foyer des Besucherzentrums des BMVg wurde das Thema weiter diskutiert. Zuvor hatte der Leiter des RK WEST das Vortragsjahr 2018 des RK WEST kurz Revue passieren lassen und dabei auch der der im Jahresverlauf verstorbenen Mitglieder GenMaj a.D. im BGS Ulrich Wegener sowie GenMaj a.D. Gerd-Helmut Komossa gedacht.
Generalleutnant a.D. Jürgen Ruwe