Informationsveranstaltung des BMVg für den RK West mit Brigadegeneral Andreas Marlow, Leiter des Büros des Generalinspekteurs, am 18.06.2015
Die diesjährige Informationsveranstaltung des BMVg für den Regionalkreis West der Clausewitz-Gesellschaft, das Bonner Forum der Deutschen Atlantische Gesellschaft und die Sektion Köln-Bonn der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik fiel in eine Zeit, in der Bundeswehr und Ministerium vor etlichen neuen Herausforderungen stehen und in der deshalb ein besonderer Informationsbedarf bestand.Zum einen gibt es mit seit der russischen Annexion der Krim und dem Vordringen des Islamischen Staats im Nahen Osten neue Bedrohungsszenarien oder zumindest Gefährdungen, zum anderen ist in Deutschland die Überzeugung gewachsen, dass unser Land ein höheres Maß an internationaler Verantwortung übernehmen muss, um einen angemessenen Beitrag zu Stabilität und Sicherheit in der Welt zu leisten. Das gültige Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr aus dem Jahr 2006 reflektiert diese Entwicklungen naturgemäß nicht. Der Anstoß der Bundesministerin der Verteidigung zur Erarbeitung eines neuen Weißbuchs der Bundesregierung erscheint daher nur allzu berechtigt. Die Informationsveranstaltung begann mit einem Vortrag des Projektbeauftragten Weißbuch im BMVg, Brigadegeneral Carsten Breuer.
Ziel des neuen Weißbuchs sei es, die sicherheitspolitischen Entwicklungen zumindest über einen Zeitraum von zehn Jahren möglichst belastbar zu prognostizieren, um daraus konkrete Ableitungen für die Zukunft der Bundeswehr zu treffen. Ganz im Sinne der vernetzten Sicherheit sei das nicht Aufgabe des BMVg allein, sondern bedürfe der intensiven Mitwirkung anderer Ressorts, vor allem des AA und des BMZ. Bei der Analyse der sicherheitspolitischen Lage stelle man fest, dass zu den traditionellen Herausforderungen, die i.W. durch staatliche Akteure bestimmt seien und durch das Verhalten Russlands in Osteuropa sowie die Aufrüstungspolitik Chinas wieder an Bedeutung gewonnen hätten, eine Reihe neuer Herausforderungen getreten seien. Dazu zählten u.a. das immense Bevölkerungswachstum insbesondere in Indien und China, die Entstehung von Megacities, Migrationsbewegungen , mögliche Gefährdungen durch Nutzung des Cyberraums, neue Formen der hybriden Kriegführung und insgesamt ein hohes Maß an Volatilität.
Zur Erarbeitung des Weißbuchs habe man einen breiten Ansatz mit zehn Workshops gewählt, in denen auch nichtstaatliche Organisationen vertreten seien. Die Partizipationsphase solle im Oktober dieses Jahres abgeschlossen werden; Ziel sei es, das Weißbuch im Sommer 2016 herauszugeben.
In der Ausprache wurde aus dem Auditorium heraus mehrfach betont, wie wichtig es sei, dass das Papier von der Öffentlichkeit als Weißbuch des Bundesregierung wahrgenommen werde. Zumindest in Nuancen unterschiedliche Auffassungen wurden in der Frage erkennbar, ob die gegenwärtige russische Politik eine eher kurzfristige Erscheinung sei oder ob man sich langfristig auf ein konfrontatives Verhalten einrichten solle.
Brigadegeneral Andreas Marlow stellte sodann ausgewählte Handlungsfelder aus der Arbeit des Generalinspekteurs der Bundeswehr vor und deckte dabei ein breites Spktrum ab: Von der Einordnung des GI in der aktuellen Struktur des BMVg, über die Neuaufstellung eines Reservisten-Referats in der Abteilung „Führung Streitkräfte“, die erheblichen Auswirkungen der EU-Richtlinie zur Arbeitszeitverordnung auf die Streitkräfte, die deutschen Aktivitäten im Rahmen des Framework Nation Concepts, den deutschen Beitrag zum Very High Readiness Joint Task Force Concept der NATO (VJTF), die Bemühungen, die Ostflanke der NATO – u.a. durch die Aufwertung des Multinational Corps North East – zu stärken bis hin zu der verstärkten deutsch-niederländischen und deutsch-polnischen Zusammenarbeit mit wechselseitiger Unterstellung von Truppenteilen. Auch die in den Medien diskutierten materiellen Mängel in der Ausstattung der Bundeswehr und die Mängel beim Gewehr G36 wurden von Brigadegeneral Marlow kommentiert.
Abschließend hatte es sich der Leiter der Abteilung Planung im BMVg, Generalleutnant Erhard Bühler, nicht nehmen lassen, persönlich in einer Tour d’horizont einen Überblick über die wichtigsten Aktivitäten in seinem Verantwortungsbereich zu geben. Dabei machte er gleich zu Beginn deutlich, dass die Bundeswehr keineswegs – wie man aus manchen Medienberichten des vergangenen Jahres hätte ableiten können – in Gänze marode und ein Sanierungsfall sei. Gleichwohl gebe es in vielen Bereichen – nicht zuletzt auch aufgrund der nicht vorhersehbaren sicherheitspolitischen Lageentwicklung – auf etlichen Feldern deutlichen Nachsteuerungsbedarf.
Einführend stellte er kurz die Einordnung der Abteilung „Planung“ im Gefüge des BMVg sowie seinen „Arbeitsmuskel“ das Planungsamt im nachgeordneten Bereich dar.
Generalleutnant Bühler zeigte sodann auf, dass der NATO-Gipfel in Wales mit der Aussage, dass Landes- und Bündnisverteidigung aufgrund der veränderten Lage wieder strukturbestimmend seien, auch für die Bundeswehrplanung neue Vorgaben geschaffen habe. Insbesondere sei der durch die Haushaltsmittelenge erzwungene Verzicht auf eine Vollausstattung der Truppe mit Großgerät nicht mehr angemessen. Er machte jedoch keinen Hehl daraus, dass die Lücke zum Strukturbedarf nicht kurzfristig, sondern erst über einen längeren Zeitraum beseitigt werden könne. Wie gering z.Z. die finanzielle Manövriermasse sei, werde auch daran deutlich, dass für das nächste HH-Jahr die Bindung bereits 97% betrage. Anhand einiger Zahlen machte er den Finanzierungsbedarf für eine moderne materielle Ausstattung der Bundeswehr deutlich, die nur in einem kontinuierlichen Prozess über Jahre zu erreichen sei. Nicht zuletzt zeigte General Bühler die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer verstärkten Zusammenarbeit im Bündnis und in der EU auf. Die fortgeschrittene Zeit ließ leider nur eine kurze Aussprache zu.
Nach dem einhelligen Urteil der Teilnehmer waren die hohe Kompetenz der drei Vortragenden, der außergewöhnliche Informationsgehalt und die klare Struktur ihrer Ausführungen herausragend. Als besonders bemerkenswert wurde empfunden, dass auch Mängel und Defizite nicht unterschlagen, sondern offen angesprochen wurden. Ohne Zweifel war diese Veranstaltung im vollbesetzten Moltke-Saal auf der Hardthöhe ein Highlight im Veranstaltungskalender der drei beteiligten Gesellschaften.
Jürgen Ruwe, Generalleutnant a.D.