Kurzbericht über die Veranstaltung beim RK Nord am 19.10.21

Erste Präsenzveranstaltung nach anderthalb Jahren…..

Erstmals seit März 2020 konnte der Regionalkreis Nord in Hamburg an der Führungsakademie im gewohnten Format zusammenkommen: in Präsenz, mit einem Kurzvortrag eines studierenden Offiziers der Universität der Bundeswehr, einem kleinen Abendessen und einem Vortrag zum Thema: „Nordkorea – was treibt es an, was hält es auf?“, gehalten durch Prof. Dr. Michael Staack.

Zum Auftakt berichtete Leutnant du Hamél, Leiter der IG Sicherheitspolitik, Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Sicherheitspolitik und Konfliktforschung über seine Praktika in Bundesministerien und hatte dazu ein Schlaglicht auf den populären Vorwurf der deutschen Strategielosigkeit geworfen:

„Im Expertendiskurs um die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wird immer wieder die Frage nach einer Strategielosigkeit der deutschen Politik aufgeworfen. Aber was bedeutet Strategielosigkeit überhaupt? Der Blick in Lexika, bietet für den Begriff der Strategielosigkeit vornehmlich zwei Operationalisierungen. Erstens die Abwesenheit eines Plans zur Zielerreichung und zweitens die mangelnde oder fehlende Berücksichtigung aller relevanten Einflussfaktoren für eben jenen Plan. In der Empirie ist tatsächlich kein umfassender Mangel an Plänen für bestimmte Ziele identifizierbar, auch gehört die Berücksichtigung von umfangreichen Einflussfaktoren zu den grundlegenden Fähigkeiten eines jeden sicherheitspolitischen Referenten. Der Vortragende hat am 19.10.21 hierzu folgende Überlegung aufgebracht: Ist es nicht vielmehr die fehlende Kohärenz von DEU außenpolitischen Zielen, welche zu einer Überlagerung oder der unklaren Anwendung von Strategien führt?

Aber warum sind außenpolitische Ziele in Deutschland nicht immer klar formuliert? Was sind die Ursachen? Hierzu eine Auswahl an Überlegungen:

  1. Sicherheitslogik oder Friedenslogik? Mit anderen Worten profitieren wir international von Kooperation oder müssen wir mehr Konflikte zur Interessendurchsetzung eingehen?
  1. Haben wir überhaupt die Fähigkeit, umfangreiche außenpolitische Ziele in ganzen Regionen der Welt umfassend zu verwirklichen? Europa wäre hierzu theoretisch in der Lage, aber gibt es hier einheitliche außenpolitische Ziele?
  1. Mindestens vier Ministerien, zukünftig wahrscheinlich durch drei Parteien geteilt, mindestens ein Parlament und Europa betreiben nach ihren Kompetenzen „Agenda Setting“ für die deutsche Außenpolitik, sind hier einheitliche Ziele erwartbar?
  1. Was ist die öffentliche Meinung der deutschen Bevölkerung zu der Frage, wie Außenpolitik beschaffen sein sollte. Bündnissolidarität, defensive Politik und der Einsatz für Menschenrechte sowie die Verbesserung der internationalen Lebensumstände sind Aspekte, die hier eine Rolle spielen. Aber was ist, wenn Logiken der Bündnissolidarität und eine defensive Politik sich widersprechen?
  1. Aus historischen Gründen erarbeiten wir mit Partnern gemeinsame außenpolitische Ziele. Was ist unsere Position, wenn sich unsere Partner nicht einig sind?

Am Ende bleibt neben den Ursachen die Frage zu beantworten, was die Vorteile und Nachteile sind, wenn sich außenpolitische Ziele überlagern und längeren Aushandlungsprozessen unterworfen sind“.

Den Hauptteil des Vortragabends bestritt Prof. Dr. Michael Staack, Helmut-Schmidt-Universität, mit Vortrag und Aussprache zum Thema: „Nordkorea, was treibt es an, was hält es auf?“ Dabei zeigte er die vier Dimensionen des Konflikts auf, nämlich die:

  • Internationale Ordnung: Nukleare Ordnung und Nichtweiterverbreitung
  • Die Konfrontation der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) mit den USA
  • Der Hegemonialkonflikt USA-China und
  • Der Konflikt zwischen den beiden Koreas

Für uns scheint der Blick auf Nordkorea immer einem Blick in die Black Box zu gleichen und wir fragen uns, welche Quellen stehen uns zur Verfügung? Welche Bedeutung hat die

Kim-Dynastie für das Land, wie steht es um Modernisierung und wirtschaftliche Öffnung und Differenzierung der Gesellschaft? Tatsächlich ist nach Auffassung von Prof. Staack die Quellenlage besser als gemeinhin angenommen, da etliche westliche NGOs im Land arbeiteten. Das Land habe ein lernfähiges System entwickelt, die Isolierung ist eher nur bedingt und es sei Übung bei der Umgehung der Sanktionen vorhanden.

Die Interessenlage Nordkoreas charakterisierte er folgendermaßen:

  • Wirtschaftlicher Aufschwung plus Atomwaffen – die neue Strategie
  • Das Sichern des Überlebens des Regimes, vor allem durch
  • Stärke durch Konfrontation
  • Die Unangreifbarkeit durch Nuklearwaffen und
  • Neue Anlehnung an den (ungeliebten) Verbündeten China sowie
  • Die Fixierung auf die USA

Das nordkoreanische Nuklearprogramm wirft nach Staacks Auffassung Fragen auf:

  • Woher kommen Know-how und Material? Zum Teil aus alter Zusammenarbeit im Warschauer Pakt, offenbar auch zum Teil aus Pakistan.
  • Umfang des Nukleararsenals? Offenbar noch nicht vergleichbar mit anderen Nuklearmächten, aber nicht zu vernachlässigen
  • Trägersysteme nuklearfähig? Davon ist auszugehen.
  • Fähigkeit zur Serienproduktion? Offenbar nicht bzw. noch nicht vorhanden.
  • Verwundbarkeit der Anlagen? Gering wegen zahlreicher Bunker.

Der Verhandlungsprozess zwischen den USA und Nordkorea (Gipfeltreffen Trump – Kim 2018 in Singapur) schien zu einer Grundsatzeinigung geführt zu haben, der Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Die sehr schlechte Vorbereitung in der Trump-Administration mit Maximalforderungen ohne das Aufzeigen von Zwischenschritten und offenbar gegensätzliche Positionen in der Trump-Administration führten zum Scheitern.

Ohne Antworten auf die Fragen, was konkret ‚Denuklearisierung‘ bedeutet, ob ein Prozess oder ein ‚Deal‘ angestrebt wird, welche Sicherheitsgarantien es für Nordkorea gibt, unter welchen Bedingungen die Sanktionen aufgehoben werden können, und schließlich, ob es eine Nord-Süd-Entspannung geben kann ohne eine Entspannung Nordkorea-USA, ohne all das könne es keine wirklichen Fortschritte geben. Zusätzlich habe auch der Iran-USA-Konflikt auf den Konflikt in Korea Auswirkungen, denn die USA kündigten das Abkommen trotz Einhaltung seitens des Iran völkerrechtswidrig, die Europäische Antwort sei zögerlich und wirkungslos und die Kooperation EU-China-Russland schlecht gewesen. Die Lehre, die Nordkorea daraus ziehen könne, sei: Vertragseinhaltung und Kompromisse lohnen sich nicht, die Europäer sind einflusslos, die Unterschrift der USA hat keinen Wert.

Ein Blick auf die unterschiedlichen Interessenlagen der Akteure (USA, China, Nord- und Südkorea) zeigt Schnittmengen, aber auch Unvereinbarkeiten auf. Die USA, China und naturgemäß auch Südkorea sind an Denuklearisierung interessiert und Einhegung Nordkoreas, die USA und China an gegenseitiger Eindämmung, die USA zusätzlich an der Eindämmung Russlands – allerdings habe das Problem offenbar gegenwärtig unter Biden keine erkennbare Priorität. Südkorea, ohne eine erkennbare gemeinsame Strategie mit den USA und Japan will zusätzlich die Wiedervereinigung offenhalten – wofür es gegenwärtig aber keine realistische Chance gäbe.

Für einen Erfolg im Korea-Konflikt bedarf es nach Auffassung von Staack einer Verständigung über die „großen Ziele“ aller Beteiligten (die er noch nicht sieht) und kommt zu einer vorläufigen Bilanz:

  • Kim Jong-un ist zurück auf der diplomatischen Bühne
  • Ohne China geht gar nichts
  • USA müssen festlegen, wie sie weiter vorgehen wollen, Südkorea war nur ansatzweise erfolgreich
  • Ein „Einfrieren“ des Konflikts ist unwahrscheinlich.

Dem Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion, in der u.a. die Frage gestellt wurde, was Nordkorea wirklich zur Denuklearisierung veranlassen könne, vor dem Hintergrund z.B. der ukrainischen Erfahrung (Abgabe der sowjetischen Nuklearwaffen an Russland Anfang der 90er Jahre, mit der Garantie der Unverletzlichkeit des Territoriums, unterzeichnet von den USA und Russland, und der Annektion der Krim und des russischen Eingreifens in der Ost-Ukraine ab 2014). Die einzig mögliche Lösung sei eine umfassende Einbettung in ein internationales System, das glaubhafte Garantien bereitstellt.

 

Hans-Herbert Schulz