Militärische Fähigkeiten der EU – Sachstand und Ausblick – RK Nord am 28.01.2025

Am 28. Januar 2025 fand in Hamburg die erste Veranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. diesen Jahres statt. Generalmajor Werner Albl, Stellvertretender Direktor und Chef des Stabes der EU ‚Military Planning and Conduct Capability (MPCC)‘ im EU Militärstab (EU MS) in Brüssel, trug zum Thema vor:
“Militärische Fähigkeiten der EU – Sachstand und Ausblick”
Der Moltkesaal der Führungsakademie der Bundeswehr in der Clausewitz-Kaserne war mit gut 120 Gästen nahezu vollbesetzt. Erfreulicherweise waren unter den Gästen diesmal besonders viele aktive Offiziere, vor allem aus den LGAN 23 und 24. Aber warum Moltkesaal, warum Clausewitz-Kaserne?
Aufgrund eines Brandes im Kasino der Generalleutnant-Graf-von-Baudissin-Kaserne sind unsere gewohnten Tagungsräumlichkeiten bis auf Weiteres nicht nutzbar, so dass wir in die Clausewitz-Kaserne ausweichen mussten. Dankenswerterweise stellte uns die Führungsakademie der Bundeswehr für diese Veranstaltung kurzfristig den ehrwürdigen Moltkesaal zur Verfügung, allerdings ohne jedes Catering. Daraufhin entschlossen sich spontan Lehrgangsteilnehmende des LGAN 24, an diesem Abend mit eigenen Kräften einen Ausschank im Vorraum des Moltkesaals zu improvisierten. Für diese Eigeninitiative des LGAN 24 dankten die 120 Teilnehmer mit einem donnernden Applaus.
Generalmajor Albl, Jahrgang 1965, ist seit 2022 in seiner derzeitigen Verwendung im EU MS in Brüssel und damit der ranghöchste deutsche Offizier bei der EU. Er trat 1984 als Wehrpflichtiger bei der Nachschubtruppe in die Bundeswehr ein, nahm am 42. Generalstabslehrgang des Heeres 1999-2001 teil und wurde, unterbrochen jeweils durch Stabsverwendungen, 2005 Kommandeur des D/F-Versorgungsbataillon und 2015 Kommandeur der D/F-Brigade. 2017 bis 2020 war er Verteidigungsattaché in Paris.
Derzeit befinden wir uns inmitten bedeutenden geopolitischen Veränderungen. Die NATO ist seit mehr als siebzig Jahren das zentrale westliche Verteidigungsbündnis mit der Führungsmacht USA und ihren überragenden militärischen Fähigkeiten. Unklar ist derzeit aber mehr denn je, in wie weit sich die USA weiterhin im gewohnten Umfang in Europa engagieren wird. Umso wichtiger ist daher die Frage, wie es aktuell um die militärischen Fähigkeiten der EU bestellt ist und wie diese sie sich voraussichtlich weiterentwickeln werden.
Seit 2003 hat die EU in Europa, Asien und Afrika mehr als 40 militärische und zivile Einsätze, Ausbildungs- und Überwachungsmissionen durchgeführt; dabei ist der europäische Ansatz der eines ‚Integrated Approach‘, der alle vorhandenen Mittel und Möglichkeiten der EU zusammenführt. Die ‚Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)‘ der EU nimmt derzeit Fahrt auf, nicht zuletzt durch gezielte Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie, die Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine oder z.B. durch gemeinsame Maßnahmen zur Cyberabwehr und von hybriden Angriffen.
Der ‚Strategische Kompass‘ der EU von 2022 bietet dabei die notwendige strategische Orientierung, um die EU als sicherheitspolitischen Akteur weiter zu festigen. Dazu wurde u.a. eine schnell verlegbare Eingreiffähigkeit (‚Rapid Deployment Capacity‘ (RDC)) beschlossen, die auf weiterentwickelten EU Battle Groups aufbaut und die Handlungsfähigkeit der EU im Krisenmanagement verbessert..
Die ‚Military Planning and Conduct Capability‘ (MPCC) wurde 2017 ins Leben gerufen, um in Brüssel zum ersten Mal eine permanente militärische Planungs- und Führungsfähigkeit auf militärstrategischer Ebene zu haben. IhrAufgabenspektrum, die Führung aller militärischen Missionen der EU, hat sich in den letzten Jahren massiv erweitert, nicht zuletzt durch die Führung der EU-Unterstützungsmission für die Ukraine, die in enger Abstimmung mit der NATO erfolgt. Der ‚Strategische Kompass‘ gibt der MPCC eine zusätzliche neue Aufgabe – das Herstellen der Einsatzfähigkeit als militärisches Hauptquartier in Brüssel für die schnelle Krisenreaktion im Rahmen der ‚Rapid Deployment Capacity‘ (RDC) der EU.
Seit diesem Jahr wird der Bereich ‚Verteidigung‘ innerhalb der EU-Kommission erstmals durch einen eigenen ‚Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt‘ vertreten (Andrius Kubilius). Unverändert ist der Bereich ‚Verteidigung‘ Teil des Auswärtigen Dienstes der EU unter Führung von Kaja Kallas, der ‚High Representative for Foreign Affairs and Security Policy‘ und zugleich Vizepräsidentin der Europäischen Kommission.
Verteidigung und Sicherheit in Europa haben für die neue Kommission einen hohen Stellenwert. Neben der Unterstützung der Ukraine steht dabei vor allem eine Verbesserung bzw. Entwicklung von eigenen strategischen Fähigkeiten sowie die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie im Fokus. All das wird viel Geld kosten, erscheint aber angesichts der unverändert anhaltenden russischen Bedrohung unverzichtbar.
Durch diese Maßnahmen will die EU auch die NATO unterstützen, die Fundament der kollektiven Verteidigung und der euro-atlantischen Sicherheit bleibt. Dies bedingt auch eine enge Zusammenarbeit gerade mit den USA und Großbritannien. Letzten Endes hängt Sicherheit in Europa aber auch von der Sicherheit unserer Nachbarn und unserer Partner weltweit ab. Sicherheit heutzutage kann nur ganzheitlich betrachtet werden. Hierzu muss Europa auch Regionen wie den Indopazifik, Afrika und den Nahen Osten im Blick behalten. Dies bleibt eine wesentliche Aufgabe für den Auswärtigen Dienst der EU und für den EU-Militärstab.
Kein Wunder, daß diese eindrucksvolle Darstellung der Militärischen Fähigkeiten der EU jetzt und in der Zukunft,von GM Albl schwungvoll vorgetragen, Stoff für eine lebhafte Diskussion mit mehr als 30 Nachfragen bot. Dabei wich GM Albl keiner Frage aus. Nach dem gut einstündigen Vortrag und der ebenso langen Diskussion klang der Abend mit Gesprächen in lockeren Runden im Vorraum des Moltkesaals aus, bei Getränken, die der LGAN 24 ausschenkte, so lange die mitgebrachten Vorräte reichten.
Dr. Hans-Peter Diller
Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord
Bilder: Quelle OSF a.D. Becker, Clausewitz-Gesellschaft e.V.