“Die U.S. Army in Europa” – RK WEST am 11.01.2016
Aufgrund der Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa durch die russische Annexion der Krim und die Intervention in der Ost-Ukraine im Jahr 2014 haben die amerikanischen Streitkräfte in Europa wieder einen anderen Stellenwert erhalten. In der Hochzeit des kalten Krieges, als mehr als 300.000 Soldaten, teilweise mit Familienangehörigen, in unserem Land stationiert waren, gehörten sie fest zum normalen Straßenbild ihrer Garnisonsstädte. Als mit der sicherheitspolitischen Wende Anfang der 90er Jahre das Rational für die teure Auslandsstationierung weitgehend entfiel, zogen die USA verständlicherweise das Gros ihrer Streitkräfte nach Amerika zurück. Immerhin behielten sie trotz zunehmender Hinwendung nach Asien ein signifikantes Kontingent in Deutschland bei – nicht zuletzt, um die in Jahrzehnten aufgebaute Infrastruktur weiter nutzen zu können, aber auch wegen der größeren Nähe zu den Krisengebieten des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas.
Um die ohnehin enge Verbindung zur Bundeswehr und insbesondere zum Deutschen Heer noch zusätzlich zu stärken, wurde mit Brigadegeneral Markus Laubenthal Mitte 2014 ein deutscher General zum Stabschef des nationalen amerikanischen Hauptquartiers der U.S. Army in Europe (USAREUR) berufen.
Brigadegeneral Laubenthal – unterstützt durch seinen amerikanischen Stellvertreter, Colonel Norman Fuss – stellte vor dem RK West seine eigene – international sehr ungewöhnliche – Position, vor allem aber die aktuellen Aufgaben der U.S. Army in Europe dar. Diese Aufgaben sind stark geprägt durch die auf dem NATO-Gipfel in Wales beschlossene stärkere Hinwendung zur Bündnisverteidigung und die Notwendigkeit, der Bevölkerung in den osteuropäischen NATO-Staaten die Entschlossenheit des Bündnisses zur kollektiven Verteidigung zu demonstrieren. Dazu hat USAREUR unter dem Motto „Strong Europe“ ein bemerkenswertes Programm entwickelt, wie mit den ca. 30.000 Soldaten ständig in Europa stationierten Soldaten durch eine äußerst flexible und intensive Übungsplanung, enge Zusammenarbeit mit europäischen Streitkräften sowie unter Nutzung von Verstärkungskräften aus den USA ein Höchstmaß an Abschreckung erzielt werden kann.
Die neue Lage in Europa und die Notwendigkeit, insbesondere dem Bedrohungsempfinden der neuen NATO-Staaten im Osten angemessen Rechnung zu tragen, erfordern sehr weiträumige Bewegungen von Truppenteilen über etliche Landesgrenzen hinweg und sind mit ungewöhnlichen logistischen und bürokratischen Herausforderungen verbunden. Brigadegeneral Laubenthal und Colonel Fuss stellten dar, in welch beeindruckender Weise Truppe und Stäbe diese neuen Aufgaben gemeistert haben, obwohl sie nicht auf ausgefeilte Verteidigungsplanungen wie zu Zeiten des Kalten Krieges zurückgreifen konnten. Sie verhehlten in großer Offenheit aber auch nicht, dass vieles noch zu tun sei, um die Bündnisverteidigung wieder auf ein angemessenes Niveau zu bringen.
In der ausführlichen und ebenfalls sehr offenen Diskussion wurde neben vielen anderen Themen auch die ungewöhnliche Rolle eines deutschen Chef des Stabes in einem nationalen amerikanischen Hauptquartier beleuchtet. Wie problemlos diese Aufgabe von einem deutschen General übernommen werden konnte, hat viele Zuhörer erstaunt.
Der mit vielen Graphiken, Videospots und Bildern unterlegte faszinierende Vortrag war nicht nur sehr anschaulich, sondern auch hochinformativ – ein Gewinn für alle Teilnehmer.
Vor Beginn des Vortrags hatte der Leiter des RK West, Generalleutnant a.D. Jürgen Ruwe, in einem kurzen Ausblick auf das kommende Jahr aufgezeigt, dass die meisten Krisen und Konfliktfelder, die das Bündnis, Europa und unser Land im Jahr 2016 beschäftigen würden, nicht aus heiterem Himmel über uns gekommen, sondern seit langem vorhersehbar gewesen seien. Dass die Politik darauf angemessen und vorausschauend reagiert habe,sei allerdings nicht erkennbar. Daher plädiere er für das Einschalten des Verstandes bei den erforderlichen Problemlösungen, womöglich sogar unter Anwendung Clausewitzscher Prinzipien und Methoden.Der RK West werde sich auch im Jahr 2016 bemühen, die aktuellen sicherheitspolitischen Konfliktfelder zu beleuchten und einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, Verständnis für sicherheitspolitische Belange und Erfordernisse zu wecken und über seine Mitglieder in die Gesellschaft zu tragen.
Jürgen Ruwe, Generalleutnant a.D.