Zum 200. Geburtstag Otto von Bismarcks: Sicherheitsordnung und Strategie im Wandel – 7. Clausewitz-Strategiegespräch in Berlin
Trotz des Streiks Lokführer hatte sich der Veranstaltungssaal in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin am Abend des 22. April gut gefüllt. Das inzwischen 7. Clausewitz-Strategiegespräch fand wieder als gemeinsame Veranstaltung der Clausewitz-Gesellschaft e.V. mit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V. und der Landesvertretung in deren Räumen statt.
Der Leiter der Landesvertretung, Staatssekretär Dr. Michael Schneider, ging in seinem Grußwort zunächst vor allem auf die „Landes-Wurzeln“ des ersten Reichskanzlers und auf die Entwicklung der Bismarck-Stiftung ein. Mit Blick auf die Zielsetzung des 7. Clausewitz-Strategiegesprächs unterstrich er dann eine erfreulicherweise zunehmende Konjunktur bei der sicherheitspolitischen Diskussion in unserem Land.
Die abendliche Runde wurde wieder vom Präsidenten der Clausewitz-Gesellschaft e.V., Generalleutnant a.D. Kurt Herrmann, moderiert. Er skizzierte eingangs die Rahmenbedingungen der Bismarck’schen Zeit, nannte aktuelle sicherheitspolitische Hintergründe und erläuterte die Zielsetzung der Diskussionsrunde: Aus einer vergleichenden Betrachtung wesentlicher Merkmale und Aspekte der Bismarck’schen Politik und Strategie mit aktuellen Entwicklungen solle versucht werden, Erkenntnisse für die Sicherheitsordnung und Strategie der Europäischen Union heute zu gewinnen.
Professor Dr. Michael Epkenhans, der Leitende Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), Potsdam, sprach im ersten Impulsvortrag zum Thema: „Grundzüge und Wesensmerkmale der Bismarck’schen Politik und Strategie“. Mit seiner profunden Expertise und vor allem auch mit seiner reichhaltigen Erfahrung aus seiner früheren Verwendung als Gründungs-Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh stellte er in sehr anschaulicher Weise die Kerninhalte der Bismarck‘schen Außenpolitik sowie markante Hintergründe und auch wesentliche Konsequenzen dar. Dabei analysierte und bewertete er insbesondere folgende bestimmende Faktoren:
- Wahrnehmung des Auslandes (insbes. Großbritannien), dass mit der Reichsgründung erstmals wieder seit langem in Europa eine starke Mitte existierte
- Gleichgewicht der Machtverhältnisse zwischen den fünf Hauptakteuren in Europa
- Verzicht des Deutschen Reiches auf Expansion („Saturiertheit“)
- „Absicherung“ des Prozesses zur Bildung des deutschen Nationalstaates
- Ableitung von Spannung aus dem europäischen Zentrum an die Peripherie
- Bündnispolitik als Mittel der Außenpolitik mit dem primären Ziel der Kriegsverhinderung, aber auch
- Grundsätzliche Möglichkeit der Nutzung des Kriegs als Mittel der Außenpolitik. Allerdings war Bismarck bei weitem nicht der „Eisenfresser“, für den er oft gehalten wurde, vielmehr hat er im Verlaufe seiner Kanzlerschaft häufiger den Primat der Politik gegenüber den Militärs durchgesetzt.
Prof. Dr Epkenhans kam zu dem Resümee, dass Bismarcks Außenpolitik kompliziert und einfach zugleich gewesen sei. Da er in den Kategorien der Kabinettskriege dachte, verkannte er die Wirkung der Nationalisierung der Außenpolitik. Sein System der Aushilfen kam zum Ende seiner Kanzlerschaft ebenfalls an ein Ende.
Der Generaldirektor des Militärstabs der Europäischen Union, Generalleutnant (des österreichischen Heeres) Wolfgang Wosolsobe, trug anschließend vor zum Thema „Welche sicherheitspolitischen und strategischen Lösungsansätze verfolgt die EU zur Überwindung der aktuellen Herausforderungen an die Europäische Sicherheitsordnung?“ Nach einer einleitenden Bestandsaufnahme zur aktuellen europäischen Sicherheitsordnung ging er auf wesentliche Herausforderungen ein, denen sich diese Ordnung gegenüber sieht. Er zeigte dabei u.a. auf, dass sich die Wirkungsfelder der NATO, der EU und der OSZE einander überschneiden. Die stärkste sicherheitspolitische Bindung in Europa verortete er in der Beistandspflicht im Rahmen der NATO. Die Ausstattung der EU mit sicherheitspolitischen Instrumenten betrachtet er als wesentlichen Bestandteil der politischen Integration Europas. Die Entwicklung gemeinsamer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik habe weiterhin Hürden zu überwinden, wobei nationale Souveränität abzugeben sei und die entsprechend abgegebenen Felder mit Ressourcen auszustatten seien.
Bei den äußeren Herausforderungen nannte Wosolsobe insbesondere die sich rasch ändernde Natur bewaffneter Konflikte und erwähnte hierzu vor allem hybride Konfliktformen. Die wahrscheinlichsten Bedrohungen richten sich seines Erachtens nicht in erster Linie gegen das Territorium Europas, sondern gegen die Akzeptanz der Rechtsordnung und der Rechtsprinzipien, die das Zusammenleben der Staaten im Wesentlichen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gestaltet haben.
Im Osten und im Süden sieht Wosolsobe Europa mit zunehmend feindseligen Haltungen konfrontiert, wobei er für den Osten Russlands Strategie der hybriden Kriegsführung und für den Süden den islamischen Terror mit seiner Ablehnung der wesentlichen Existenzprinzipien Europas nannte.
Zu den sicherheitspolitischen Stärken der EU zählt Wosolsobe insbesondere die Verfügbarkeit eines umfassenden Instrumentariums für das gesamte Spektrum von Konfliktverhinderung, über Krisenbewältigung zu Konfliktnachsorge und Unterstützung beim Aufbau von Staaten.
Bei den Schwächen der EU richtete er seinen Blick vor allem auf die zunehmende Spannung zwischen dem Streben nach vertiefter politischer Integration einerseits und einer Renaissance von staatlichem Souveränitätsdenken andererseits. Damit verbunden sieht er eine wachsende Schwierigkeit zu definieren, welche außenpolitischen und sicherheitspolitischen Ziele eigentlich der EU zugeordnet werden sollen und welcher nationale Handlungsspielraum erhalten bleiben muss. Seiner Auffassung nach tendieren zudem immer noch zu viele Akteure in der EU dazu, die militärische Dimension zu ignorieren. Dies erschwere u.a. die Kombination mit den anderen Instrumenten.
In seinem Ausblick auf die weitere Entwicklung erwähnte Wosolsobe den von der Hohen Vertreterin angekündigten „Strategic Review“, in dem auch genauer beschrieben werden solle, was von der militärischen Dimension und ihren Instrumenten erwartet wird. Künftig müsse die EU zumindest in der Lage sein, alle Phasen des Handelns in enger Abstimmung ziviler und militärischer Instrumente zu planen und durchzuführen. Außerdem unterstrich er die Notwendigkeit zu einer engeren Verschränkung der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO, aber auch zur Abstimmung und Kooperation zwischen EU und VN sowie zur Zusammenarbeit mit regionalen Partnern, wie z.B. der Afrikanischen Union.
Die anschließende Diskussion deckte ein breites Spektrum politisch-historischer Fragen und aktueller außen- sowie sicherheitspolitischer Themen ab. Professor Dr. Epkenhans und Generalleutnant Wosolsobe blieben dabei keine Antwort schuldig und vermittelten aufgrund ihrer profunden Sachkenntnis und Erfahrungen stets sehr klare und überzeugende Einblicke, Bewertungen und Auffassungen. Eingehender thematisiert wurden beispielsweise das Verhältnis EU-Russland bzw. auch NATO-Russland, die künftige Rolle Europas in einer umfassend globalisierten Welt mit neuen Risiken und Bedrohungen (u.a. im Cyberraum), Reaktionsmöglichkeiten der EU auf die jüngste Migrationswelle, Forderungen an die praktische Umsetzung eines vollständig vernetzten Sicherheitsansatzes, Perspektiven der künftigen Kooperation EU-NATO und notwendige Voraussetzungen für die Planung und erfolgreiche Durchführung von Operationen der EU.
Der Moderator wies in seinem Schlusswort u.a. hin auf die heute – im Vergleich zu den Bündnissystemen und Koalitionen der Bismarck-Zeit – erforderliche Transparenz und demokratisch legitimierten Entscheidungsprozesse als Garanten für tragfähigen Interessenausgleich und ein hinreichendes Maß an Stabilität. Zudem unterstrich er die Bedeutung von Souveränität, territorialer Integrität, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung als Grundlagen Europas. Für die Gewährleistung der Sicherheit Europas gegen potentielle Bedrohungen aus Osteuropa, dem Nahen-/Mittleren Osten, Nordafrika und vor allem durch den Internationalen Terrorismus, bedürfe es einer kohärenten europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Abschließend dankte Herrmann dem Auditorium für die zahlreichen engagierten Fragen und Kommentare und den beiden Referenten für ihr überaus gelungenen Vorträge und Diskussionsbeiträge.
(Quelle der nachfolgenden Abbildungen: Landesvertretung Sachsen-Anhalt)